II - Das zukünftige Leben


Nach den zentralen Prinzipien der Einheit Gottes (tawhîd) und des Prophetentums (nubuwwa) ist das dritte theologische Prinzip, über das sich alle Muslime einig sind, die Begegnung mit Gott (ma'âd). Im Qur'an ist in diesem Zusammenhang oft vom Tag der Auferstehung, des Gerichts usw. oder von der Stunde die Rede. Während ein "Tag" ein längerer Zeitraum ist, in dem ein komplexer Prozeß abläuft, ist eine "Stunde" der entscheidende Augenblick, hier der Augenblick der Erkenntnis, wo der Wert der eigenen Handlungen erkannt wird und ggf. deutlich wird, daß die Wesen oder Ideen, die man Gott zur Seite gesetzt hat, illusorisch waren.

Gott bringt die Schöpfung hervor, dann läßt Er sie wiederkehren. Zu Ihm werdet ihr dann zurückgebracht werden. An dem Tag, da die Stunde naht, werden die Übeltäter von Verzweiflung ergriffen, denn keiner ihrer Abgötter wird ihnen ein Fürsprecher sein, und sie werden selbst ihre Abgötter verleugnen. Und an dem Tag, da die Stunde kommt, werden sie voneinander getrennt ... (Sura 30:12-15).

Oft kritisiert wird im Qur'an eine gleichgültige Lebenshaltung, als ob es eine solche "Stunde der Wahrheit" nicht gäbe und man niemals mit den Ergebnissen der eigenen Handlungen konfrontiert würde. Über solche Menschen - so wird gewarnt - bricht die Stunde plötzlich herein, und die Zeit, die ihnen zur Verfügung stand, erscheint ihnen äußerst kurz:

Und an dem Tag, an dem die Stunde kommt, schwören die Übeltäter, sie hätten nicht länger als eine Stunde (in dieser Welt) verweilt. So haben sie sich ständig getäuscht (Sura 30:56).

Der Begriff "Stunde" läßt zunächst offen, ob dieser Augenblick der Erkenntnis individuell oder gemeinschaftlich erfahren wird, ob er im Verlauf dieses Lebens eintrifft oder im Zusammenhang mit dem Lebensende eines Einzelnen oder einer Gruppe von Menschen. Offensichtlich wird im Qur'an alles dies als "die Stunde" bezeichnet: der persönliche Fall, der die Quittung für eine hochmütige, undankbare Haltung ist und nun zum Nachdenken zwingt; das Strafgericht über ein arrogantes, ungerechtes Volk, meist gleichbedeutend mit seiner Entmachtung; das Lebensende mit dem Rückblick auf vergangene Handlungen; das Weltgericht am Ende dieses Schöpfungszyklus usw. Keinesfalls ist dieser Zeitpunkt jedoch voraussehbar:

Bei Gott allein ist die Kenntnis der Stunde. Er sendet den Regen nieder, und Er weiß, was in den Mutterschößen ist. Niemand weiß, was er sich morgen einhandeln wird, und niemand weiß, in welchem Land er stirbt. Gott weiß und nimmt wahr (Sura 31:35).

In diesem Zusammenhang wird gelegentlich darüber spekuliert, ob zu Lebzeiten eines Propheten (wie z.B. Jesus oder Muhammad - Friede sei mit ihnen) die Menschen, angeregt durch dessen Warnungen und Mahnungen, mit einem baldigen Endgericht gerechnet und ihre Lebenshaltung besonders darauf eingestellt haben. In der Tat haben ja zu solchen Zeiten viele Menschen ihr Leben und ihre Orientierung grundlegend geändert und vieles aufgegeben, was zuvor ihr selbstverständlicher Lebensinhalt war. Andererseits können wir beobachten, daß die prophetischen Lehren nicht nur für ein jenseitiges Leben zukunftsweisend waren, so daß Gemeinschaften entstanden, die neue soziokulturelle Impulse verwirklichten und langfristig die Weltgeschichte beeinflußten. Dies ist nicht unbedingt ein Widerspruch. Ich verstehehe dies so, daß gerade angesichts der Erwartung, daß eine Begegnung mit Gott jederzeit stattfinden und Rechenschaft jederzeit gefordert werden kann, sich die Menschen veranlaßt sahen, achtsam zu leben, immer wieder zu Gott hin umzukehren und mit großer Zuversicht Gutes anzustreben. Vom Propheten (s) wird der Ausspruck überliefert: "Handle so, als ob du morgen sterben würdest, und plane Gutes so, als ob du noch hundert Jahre leben würdest."

Vom Tag der Auferstehung oder Tag des Gerichts ist im Qur'an an vielen Stellen die Rede, und es wird plastisch geschildert, wie die Toten auferweckt und vor Gottes Gericht gestellt werden. Abgesehen von der Kontroverse, ob die Auferstehung körperlich bzw. mit einem neuen Körper oder rein geistig vorzustellen ist, gilt sie als ein Erwachen zu einer neuen Bewußtseinsebene. Der Prophet (s) sagte: "Die Menschen schlafen, und wenn sie sterben, dann wachen sie auf." Ihr Leben wird in die richtige Perspektive gesetzt, und dies kann einen überraschenden Anblick bieten, wenn man sich nicht vorher um diese Erkenntnis bemüht hat. Als Hinweis für Auferstehung und neues Leben wird im Qur'an oft das ausgedörrte, tote Land angeführt, aus dem nach einem Regenguß vom Himmel neues Leben sprießt, aber im Hinblick auf das Gericht wird an andere Bilder angeknüpft:

Sie schätzen Gott nicht so ein, wie es Ihm wirklich gebührt. Die gesamte Erde gehört Ihm allein, und am Tag der Auferstehung werden auch die Himmel eingerollt in Seiner Rechten sein. Preis sei Ihm, und erhaben ist Er über das, was sie Ihm zur Seite setzen. Und es wird in die Posaune geblasen, und alle, die in den Himmeln sind, werden ohnmächtig, bis auf diejenigen,die Gott erwählt. Dann wird sie wiederum geblasen, und siehe, sie werden wartend dastehen. Und die Erde wird im Licht ihres Herrn leuchten, und das Buch wird vorgelegt, und die Propheten und Zeugen werden herbeigebracht, und es wird zwischen ihnen entschieden nach Gerechtigkeit, und sie sollen keinerlei Unrecht erleiden, und jedem wird voll vergolten, was er getan hat, und Er weiß am besten, was sie tun (Sura 39:68-71).

Alles, was in diesem Zusammenhang geschildert wird, liegt jenseits unseres raumzeitlichen Erfahrungshorizontes und muß daher in Begriffe und Bilder gekleidet werden, die anschaulich und verständlich sind, also auch in räumliche Vorstellungen und einen zeitlichen Ablauf. Ein Aspekt des Gerichts ist die persönliche Entwicklung eines individuellen Menschen in seinem irdischen Leben, ein anderer ist der Gesamtzusammenhang, darunter die Beziehungen zu Mitmenschen und Mitgeschöpfen. Während in Qur'an dieselben Begriffe benutzt werden, die auf verschiednenen Ebenen verstanden werden können, wird in der Überlieferung unterschieden zwischen einem individuellen, vorläufigen Verfahren "im Grab", woraufhin der Verstorbene die Zeit bis zur Auferstehung seinen Handlungen entsprechend in Angst und Sorge oder in Freude und Zuversicht verbringt, und dem Weltgericht am Ende der Zeiten. Die systematischen Theologie kennt eine Unterteilung in

  1. die Kleine Auferstehung, d.h. das unmittelbare persönliche Gericht im Zusammenhang mit dem Tod eines Menschen;
  2. die Mittlere Auferstehung, d.h. das Gericht über ein Zeitalter bzw. eine Generation mit einem Ausgleich des Unrechts, das Menschen einander zugefügt haben;
  3. die Große Auferstehung, d.h. das Weltgericht mit einer völligen Umstrukturierung des Universums.

Im Zusammenhang mit der Kleinen Auferstehung betont der Qur'an immer wieder die persönliche Verantwortung jedes Menschen. Er weist auf Gottes Bund mit jedem einzelnen Menschen hin und veranschaulicht an verschiedenen Beispielen, daß auch einander nahestehende Menschen wie Ehepartner, Freunde, Geschwister oder Eltern und Kinder sich nicht gegenseitig die Last der Verantwortung abnehmen können:

Jedem Menschen haben Wir die folgerichtigen Ergebnisse seiner Handlungen (wörtl. "Vögel" - bezogen auf Versuche der Zukunftsdeutung aus dem Vogelflug) an den Nacken geheftet, und am Tag der Auferstehung legen Wir ihm ein Buch vor, das er entsiegelt findet: Lies dein Buch. Heute genügt deine eigene Seele als Abrechnerin gegen dich (Sura 17:14-15).

An verschiedenen Stellen wird gesagt, daß der Betreffende gern sein Eigentum oder sogar seine Angehörigen und Freunde hingeben würde, um sich von der Verantwortung loszukaufe, aber dies ist ausgeschlossen. Vergeblich ist auch seine Berufung auf Führerpersönlichkeiten, denen er zu seinen Lebzeiten gefolgt ist und von denen er sich jetzt im Stich gelassen sieht:

(Gott) kennt sie gründlich, und Er hat sie alle genau gezählt, und jeder von ihnen soll am Tag der Auferstehung allein zu Ihm kommen. Denjenigen, die glauben und Gutes tun, wird der Erbarmer Liebe bereiten (Sura 19:95-97).

Allerdings werden, wie der Prophet (s) hervorhob, "die Handlungen in Verbindung mit den Absichten beurteilt", und zu den Maßstäben, die hier angelegt werden, gehören durchaus auch die tatsächlichen Fähigkeiten des individuellen Menschen, denn

Gott belastet keine Seele über ihr Vermögen ... (Sura 2:287),

d.h. es wird von niemandem mehr erwartet als er leisten kann.

Im Zusammenhang mit der Mittleren Auferstehung wird gesagt:

(Gedenke) des Tages, da wir eine jede Gemeinschaft mit ihrem Führer (Imam) vorladen. Wem dann sein Buch in seine Rechte gegeben wird - sie werden ihr Buch lesen, und kein Tüpfelchen Unrecht werden sie erleiden. Wer aber in dieser Welt blind ist, der ist auch im zukünftigen Leben blind und weit abgeirrt vom Weg (Sura 17:72-73).

Der Mensch wird nicht nur als Individuum gesehen, sondern auch als Mitglied einer Gemeinschaft, in der er seine Wurzeln hat und zu deren Gestaltung er beiträgt, von der er beeinflußt wird und die er beeinflußt. Es kommt also nun darauf an, wie weit er dazu beiträgt, daß in dieser Gemeinschaft Gutes verwirklicht und Böses unterbunden wird, oder wie weit Einzelne oder Gruppen von Menschen ihre Verschiedenheiten zum konstruktiven Miteinander nutzen. Blindes Befolgen menschlicher Autoritäten, seien es leibliche oder geistige Vorfahren, seien es politische oder religiöse Führer, wird im Qur'an immer wieder scharf kritisiert und im Extremfall mit Götzendienst gleichgesetzt, und die diesbezügliche Situation vor Gottes Gericht wird folgendermaßen geschildert:

Wenn diejenigen, denen man folgte, sich von denen lossagen, die folgten - angesichts der Strafe und dessen, daß ihnen ihre Mittel entrissen sind - da werden diejenigen, die folgten, sprechen: "Könnten wir doch umkehren! Wir würden uns von ihnen lossagen, so wie sie sich von uns losgesagt haben." So zeigt Gott ihnen ihre Handlungen zu ihrem Leidwesen, und sie werden dem Feuer nicht entgehen (Sura 2:167-168).

Im Gegensatz dazu steht bewußte Loyalität gegenüber den religiös-ethischen Werten und den Menschen bzw. der Gemeinschaft, die Verantwortung für ihre Verwirklichung trägt, und die Aufmerksamkeit gegenüber dem eigenen Gewissen:

Wer Gott und dem Gesandten gehorcht, soll zu denen gehören, denen Gott Seine Gnade erwiesen hat, nämlich zu den Propheten, den Wahrhaftigen, den Glaubenszeugen und den Gerechten, und das sind die besten Gefährten (Sura 4:70).

Gegenseitig zugefügtes Unrecht wird nun vor Gottes Gericht ausgeglichen, wobei aus den Begriffen und Bildern vor allem im Qur'an deutlich wird, daß das Ziel die Aussöhnung der Menschen miteinander ist. Wenn also gesagt wird:

Sprich: Unser Schöpfer und Erhalter wird uns alle zusammenbringen, dann wird Er zwischen uns richten nach Gerechtigkeit, und Er ist der Richter, der Wissende (Sura 34:27),

dann bedeutet das Wort Fattâh, das hier mit Richter übersetzt wurde, im Grunde der Öffnende, nämlich derjenige, der im Verlauf dieses Prozesses den Beteiligten neue Einsichten und Möglichkeiten eröffnet und alle Hindernisse wie Schmerz, Groll, Rachsucht u.dgl. überwindet. Der Gerechtigkeitsbegriff, der hier im Vordergrund steht, umfaßt sowohl die reiche Vielfalt und Verschiedenartigkeit der Menschen (und anderen Geschöpfe) als auch die Möglichkeiten zur Vergebung. Oft wird das Bild der Waage verwendet, um zu veranschaulichen, daß ausgewogene Beziehungen hergestellt und Mängel ausgeglichen werden sollen. Allerdings gibt es Menschen und Menschengruppen, deren eigennützige Grundhaltung keine Voraussetzung für Ausgleich, Vergebung und Versöhnung ist.

Zum Gericht über Gemeinschaften und Generationen gehört auch die Beilegung sog. religiöser Konflikte. Der Islam lehrt, daß Gott allen Völkern Offenbarungen und prophetische Lehrer geschickt hat, die in das jeweilige soziokulturelle Umfeld hinein gesprochen und gewirkt haben. Während demnach der Kern jeder Religion der Weg zu Gott ist, können sich Unterschiede in der Ausprägung ergeben, die durch das soziokulturelle Umfeld bedingt sind oder durch die Entwicklung unterschiedlicher theologischer Ansichten der jeweiligen Anhänger hervorgerufen werden und, wenn ihre Vertreter ihre Ansichten verabsolutieren, ein gewisses Konfliktpotential in sich tragen. Der Qur'an befaßt sich an verschiedenen Stellen mit diesem Problem:

Einem jeden Volk haben Wir religiöse Übungen gegeben, die sie befolgen. Sie sollen daher nicht in dieser Sache mit dir streiten. Lade zu deinem Schöpfer und Erhalter ein. Du folgst doch der rechten Führung. Wenn sie jedoch mir dir streiten, dann sprich: 'Gott weiß am besten, was ihr tut. Gott wird am Tag der Auferstehung über das entscheiden, worüber ihr uneinig wart (Sura 22:68-70).

... Gott ist unser Herr und euer Herr. Für uns unsere Werke und für euch eure Werke. Kein Streit ist zwischen uns und euch. Gott wird uns alle zusammenbringen, und zu Ihm ist die Heimkehr (Sura 42:16).

Auch die religiöse Vielfalt wird nicht negativ gesehen, sondern als eine der Herausforderungen dieses Lebens, deren Probleme am Tag des Gerichts gelöst werden:

... Einem jeden von euch haben Wir ein Gesetz und einen Weg gegeben. Hätte Gott es gewollt, Er hätte euch alle zu einer einzigen Gemeinschaft gemacht. Er will euch jedoch prüfen durch das, was Er euch gegeben hat. Wetteifert daher miteinander in guten Werken. Zu Gott ist euer aller Heimkehr, dann wird Er euch aufklären über das, worüber ihr uneinig wart (Sura 5:49).

Nicht nur über einzelne Menschen wird also das Urteil gesprochen, sondern auch über Gruppen, Völker, Generationen und Religionsgemeinschaften. Wir werden immer wieder an historischen Erfahrungen erinnert und aufgefordert, daraus zu lernen und unsere Gegenwart und Zukunft zu gestalten:

Jene Generation (umma) ist nun dahingefahren. Für sie ist ihr Verdienst, und für euch ist euer Verdienst, und ihr werdet nicht nach dem begfragt, was sie getan haben (Sura 2:135).

Die Große Auferstehung, das Weltgericht, wird im Qur'an mit furchterregenden Begleiterscheinungen geschildert. Sie betrifft das ganze Universum und alle Geschöpfe, sowohl belebte als auch unbelebte. Aufgrund diverser Überlieferungen hat man immer wieder versucht, aus Zeiterscheinungen Anzeichen für das nahe Weltgericht herauszulesen, aber ich möchte noch einmal daran erinnern, daß nicht einmal die Propheten diesen Zeitpunkt kennen, sondern nur Gott allein; wir sind vielmehr gehalten, ständig im Bewußtsein unserer Verantwortung zu leben.

Das Weltgericht geht mit einer Auflösung der uns vertrauten Verhältnisse einher:

Wenn die Sonne sich verhüllt und die Sterne sich trüben und die Berge fortgeweht werden, und wenn die trächtigen Kamelstuten verlassen werden, und wenn sich die wilden Tiere zusammendrängen, und wenn die Meere ineinanderfließen, und wenn die Seelen zueinandergruppiert werden, und wenn das lebendig begrabene Mädchen befragt wird, für welches Verbrechen sie getötet wurde, und wenn die Aufzeichnungen offengelegt werden, und wenn der Himmel aufgedeckt wird, und wenn das Feuer angefacht wird, und wenn der Garten nahegebracht wird, dann weiß eine jede Seele, was sie herbeigebracht hat (Sura 81:2-15).

Wenn der Himmel sich spaltet und seinem Herrn zuhört, wie es seine Pflicht ist, und wenn die Erde sich einebnet und preisgibt, was in ihr ist, und völlig leer wird und ihrem Herrn zuhört, wie es ihre Pflicht ist - o Mensch, du mühst dich hart um deinen Herrn, und du sollst Ihm begegnen (Sura 84:2-7).

Wenn die Erde erschüttert wird, und wenn die Erde ihre Last herauswirft und der Mensch (entsetzt) fragt: 'Was ist mit ihr?' -an diesem Tage berichtet sie ihre Erlebnisse, so wie es ihr Herr es ihr eingegeben hat (Sura 99:2-6).

Alle Geschöpfe stehen dann vor Gottes Gericht, und es geht nicht nur um Rechenschaft und Versöhnung, sondern auch um Klage, und zwar durchaus auch um die Klage von Tieren, Pflanzen und der Erde selbst gegen den Menschen. Nicht nur Menschen erfahren Gottes Gerechtigkeit, sondern auch alle anderen Geschöpfe, die ganze belebte und unbelebte Natur, von der uns im Qur'an verschiedentlich gesagt wird, daß sie Gott verherrlicht und Ihm dient, sowie die unsichtbaren Kräfte, die wir als Engel, Teufel usw. bezeichnen.

Und was lehrt dich wissen, was der Tag des Gerichts ist? Und wiederum: was lehrt dich wissen, was der Tag des Gerichts ist? Der Tag, da keine Seele etwas für eine andere Seele tun kann. Und die Angelegenheit liegt an diesem Tag bei Gott (Sura 82:18-20).

Aber so furchterregend dieser Tag auch ist, niemand braucht Ungerechtigkeit zu fürchten:

An jenem Tag wird Fürsprache niemandem nützen außer dem dem der Erbarmer die Erlaubnis gibt und mit dessen Wort Er zufrieden ist. Er kennt alles, was vor ihnen ist und was hinter ihnen ist, aber sie können es nicht mit Wissen erfassen. Alle Gesichter neigen sich demütig vor dem Lebendigen, dem durch sich selbst Bestehenden und Allerhaltenden, und hoffnungslos ist der, der mit Ungerechtigkeit beladen ist. Wer aber Gutes tut und gläubig ist, der braucht keine Ungerechtigkeit zu fürchten und keinen Verlust (Sura 20:110-113).

Der Gerechtigkeit entsprechend erfolgt dann eine Neuordnung des Universums.

Im Anschluß an das Gericht erfahren die Menschen einen von zwei Zuständen: entweder den des Zorns, der mit Hölle, Strafe, Feuer usw. bezeichnet wird, oder den der Zufriedenheit, den man auch Lohn, Paradies, Garten usw. nennt. Beide werden im Qur'an sehr bilderreich beschrieben.

Der Zustand des Zorns und der Strafe wird als ein Ort geschildert, wo Feuer brennt und den Menschen immer wieder neu versengt, aber nicht vernichtet, heißes Wasser seinen verzehrenden Durst nur noch vermehrt und die giftigen Früchte seiner bösen Handlungen ihm Bauchschmerzen verursachen. Der Prophet (s) hat uns darauf hingewiesen, daß es durchaus möglich ist, einen solchen Zustand im Leben zu erfahren, und ich denke, daß jeder, der einmal die zu späte Reue für eine peinliche, schlechte Handlung erlebt hat, die nicht mehr wieder gutgemacht werden konnte, dies bestätigen kann. Es ist im wahrsten Sinne des Wortes ein Feuer der Läuterung. In diesem höllische Zustand befinden sich

Während "Mitläufer" ihre Schuld nicht auf ihre Ver-Führer abschieben können, haben dennoch diejenigen, die es besser wissen müßten, eine größere Verantwortung und werden strenger behandelt.

Die Strafe ist keine willkürliche Maßnahme und schon gar kein Racheakt, sondern das Leiden, das die Folge der eigenen schlechten Handlungen ist, mit denen man hier konfrontiert wird, und die Schilderungen sollen mit Nachdruck betonen, daß sie nicht geringzuschätzen ist. Was die ethische Motivation betrifft, so gilt es als das Mindeste, daß ein Mensch aus Furcht vor den schlechten Folgen böse Handlungen unterläßt.

Der Zustand der Zufriedenheit wird als paradiesischer Garten geschildert und überschwenglich in allen Einzelheiten ausgemalt - fortgesetzt wird die qur'anische Darstellung noch in phantasievollen Bildern in verschiedenen Überlieferungen und im Volksglauben, aber wir wollen uns hier auf den Qur'an beschränken. Da gehören zu einem Garten zunächst Schatten, Wasserbäche und Frücht e: der kühlende, tröstende Schatten Gottes, das Wasser des Lebens und die Früchte der guten Handlungen, die Liebe und Gottesnähe repräsentieren. Die Bewohner des Gartens tragen Kleidung aus Seide und Brokat sowie Schmuck. Seide und Brokat fühlen sich angenehm an und schmücken den Träger - sie repräsentieren seine guten Charaktereigenschaften, die ihm gut stehen, wobei es heißt:

... aber das Gewand der Gottesfurcht ist das beste (Sura 7:27).

Der Schmuck ist das Abzeichen voll entfalteter Menschlichkeit. Sie leben in Partnerschaft und Freundschaft ohne störenden Eigennutz und in Freude aneinander. Auch einen solchen Zustand kann man gelegentlich im Leben erfahren, wenn man miterleben darf, daß die Früchte selbstloser Bemühungen heranreifen. In diesem paradiesischen Zustand befinden sich

Die Paradiesschilderungen im Qur'an sind im christlichen Abendland oft als "viel zu sinnlich" abgetan worden. Man kann sie in der Tat leicht mißverstehen, wenn man sie zu oberflächlich liest und sich auf ein buchstäbliches Verständnis beschränkt, indem man vergißt, daß damit ein Zustand veranschaulicht werden soll, der unsere irdischen Erfahrungen weit überschreitet. Was die ethische Motivation betrifft, so gilt es als gut, wenn ein Mensch in der Hoffnung auf Gottes Lohn und die Früchte guter Handlungen Gutes tut. Empfohlen wird darüberhinaus ein Gleichgewicht zwischen Furcht und Hoffnung, das vom Bösen abhält und zum Guten motiviert.

Darüberhinaus ist von Menschen die Rede, die im Qur'an als die Vorderen (sâbiqûn) oder auch als Gottesfreunde (awliyâ' Allah) bezeichnet werden, weil sie Gott so nahestehen, wie es überhaupt nur menschenmöglich ist. Ihre ethische Motivation beruht über Furcht und Hoffnung hinaus auf der Liebe zu Gott und Seinen Geschöpfen. Zu ihnen gehören:

Solche Menschen können auf verschiedene Weise, manchmal schon durch ihre bloße Anwesenheit, an Gott erinnern, Frieden und Segen verbreiten, Hoffnung und Zuversicht wecken, Orientierung bieten, innere Verletzungen heilen und bei der Bewältigung von Mängeln und Schwächen helfen. In der Liebe, mit der sie ihren Mitmenschen und Mitgeschöpfen begegnen, werden Gottes eigene Attribute erfahrbar. Und so eng, wie sie in ihrem irdischen Leben mit Gott verbunden waren, sind sie es auch im zukünftigen Leben. Für sie gelten um so mehr alle Aussagen, die von den Paradiesbewohnern gemacht werden, und darüberhinaus wird Gottes Zufriedenheit mit ihnen betont:

Die Vordersten, Ersten der Auswanderer (zur Zeit des Propheten aus Mekka; im übertragenen Sinne diejenigen, die sich innerlich von Achtlosigkeit und Ichbezogeneheit abkehren und auf den Weg zu Gott begeben) und der Helfer (die die Auswanderer in Medina aufgenommen und mit ihnen zusammen die neue Gemeinschaft verwirklicht haben; im übertragenen Sinne alle, die ihre Mitmenschen in ihren Bemühungen um das Gute unterstützen) und diejenigen, die ihnen auf beste Weise nachfolgen, mit ihnen ist Gott zufrieden, und sie sind zufrieden mit Ihm ... (Sura 9:100).

Ihr innerer Zustand im zukünftigen Leben ist im Grunde eine Erweiterung und Vervollkommnung dessen, was sie angestrebt haben, und die Erfüllung der Verheißung, auf die sie vertraut haben. Diese vollständige Entfaltung der Menschlichkeit ist das äußerste Ziel des irdischen Erziehungsprozesses, und hier bezeichnet der Qur'an den Menschen in besonderer Weise als Diener Gottes: nicht Sklave oder Knecht, sondern jemand, der Gott in Liebe und Hingabe so verbunden wird, daß er dazu dient, Gottes Herrlichkeit und Gnade erfahrbar zu machen. Zu einem solchen Menschen wird gesagt:

Du vollkommen beruhigte Seele, kehre zurück zu deinem Schöpfer und Erhalter, zufrieden und in Seiner Zufriedenheit; tritt also ein unter Meine Diener und tritt ein in Meinen Garten (Sura 89:28-31).


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Leben, Tod und zukünftiges Leben (1) 1