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Ein Nashorn für den Papst
___________________________ Lawrence Norfolk
Im Jahre des Herrn 1516 konkurrieren in
Rom zwei Weltmächte um die Gunst des Papstes: Spanien und Portugal.
Es ist die Zeit der Entdeckungen. Auf der Suche nach Macht, Einfluß,
Gold und Geld teilen die seefahrenden Mächte die Neue Welt unter sich
auf. Um die Demarkationslinie für alle Zeiten festzulegen, ist eine
Bulle des Papstes erforderlich, die den Vertrag zwischen den Nationen besiegelt.
Aber Seine Heiligkeit Leo X. - fett, korrupt und dekadent - wünscht
sich ein Nashorn als Spiel- und Kampfgefährten für seinen Elefanten
Hanno, der bisher allein die vatikanischen Gärten zertrampelt.
Also sticht von Ostia aus ein Schiff
in See, Kurs Afrika, um dem Papst sein Spielzeug zu verschaffen. An Bord
- außer dem versoffenen Kapitän - Bernardo und Salvestro,
die Hauptakteure des Romans, der in Ungnade gefallene spanische Oberst Diego
und eine schwarze Sklavin, die eigentlich eine Prinzessin ist.
Aber der Vatikan ist nicht der einzige
Schauplatz. Da gibt es schließlich noch die Insel Usedom mit der vom
Meer verschlungenen heidnischen Stadt Vineta und einem
halb eingestürzten Kloster über der Ostsee, das jeden Moment
von den Klippen stürzen kann. Vergeblich versuchen die frommen Mönche
es mit immer neuen Balkenkonstruktionen zu stützen. Von diesem Kloster
aus - dem Symbol für das Narrenschiff der römischen Kirche - machen
sich die Mönche auf den Weg nach Rom, der Ewigen Stadt, dem
Nabel der Welt, um dem Papst eine neue Kirche zu bauen. Und Salvestro, ein
Vagabund, und Bernardo, sein einfältiger, aber starker Freund, sind
ihre Führer.
Dieser gewaltige Roman ist ebenso ausufernd
und überschäumend wie das dekadente Rom der italienischen Renaissance.
Der grandiose Erzähler Norfolk breitet einen bunten Teppich von Bildern
aus, auf dem die ganze Welt ihren Platz findet. So bunt und farbenfroh, so
lebendig und großartig erzählt, daß der Leser in der Bilderflut
fast ertrinkt und manchmal nahe daran ist, den rettenden Faden der Handlung
zu verlieren.
Szenen, nein, ganze Welten, werden vor
dem geistigen Auge ausgerollt und - kaum hat man Figuren und Geschehnisse
richtig zugeordnet- auch schon wieder unterbrochen, und die Aufmerksamkeit
wird durch einen abrupten Wechsel der Perspektive an das andere Ende der
Welt katapultiert, wo wir afrikanische Riten um Macht und Königsnachfolge
direkt im Zentrum miterleben.
Der plötzliche Schauplatz- und
Szenenwechsel macht das Lesen dieses "Rhinoceros von einem Roman" nicht immer
leicht, vor allem weil Norfolk meistens nicht das tut, was man von einem
Erzähler erwartet: dem Leser zu sagen wer wer ist und was was ist. Aber
trotz allem möchte man am Ende gleich wieder von vorne anfangen zu lesen.
Und was kann man über ein Buch noch Besseres sagen?
Ob der Papst sein Nashorn bekommt? Selber
lesen.
[Leseprobe]
©
G!G 6.7.97
Lese!zeichen
Lawrence Norfolk: Ein Nashorn für den Papst. Roman
aus dem Englischen von Gisbert Haefs, Hanswilhelm Haefs,
Gerald Jung und Gisela Stege
Albrecht Knaus Verlag, München 1996, 815 Seiten,
49,80 DM
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