Ein Tag auf dem Campingplatz
oder
Überleben unter erschwerten Bedingungen

 

8:30 Uhr, erstes Aufwachen

Ich öffne vorsichtig das rechte Augenlid zur Hälfte, meine subjektive Zeit ist irgendwas gegen fünf Uhr morgens. Allerdings ist es verdächtig hell, ob draußen irgendwas brennt ? Wie auch immer, die anderen werden dies Problem sicher auch ohne mich in den Griff bekommen. Ich hasse dieses Aufwachen mitten in der Nacht ! Ich drehe mich daher um und schlafe weiter...

9:30 Uhr, zweites Aufwachen

Ich kann es nicht mehr länger leugnen, ich bin wach. Da träumt man das ganze Jahr über davon, endlich mal auszuschlafen, und dann wacht man im Urlaub von alleine im Morgengrauen auf *seufz*. Ein Blick auf die Uhr: hmmm... mit dem Marktbesuch wirds wohl heute nichts mehr werden, der schließt nämlich schon gegen eins seine Pforten, und ein bischen Vorlauf brauche ich schließlich auch. Stattdessen male ich mir lieber aus, daß zwei mir völlig unbekannte aber umso attraktivere Frauen mein Mobilhome stürmen, in mein Schlafzimmer eindringen, und... die weiteren Details beschäftigen mich erstmal eine Weile.

10:00 Uhr, Duschen

Ein gewisses Bedürfnis treibt mich endgültig ins Bad, und wo ich einmal dort bin, hüpfe ich auch gleich unter die Dusche. Das morgendliche Haarewaschen ist immer nervenaufreibend: die Gasflasche vor dem Mobilhome ist ziemlich leer, und ich bin mir sicher, daß sie nur den Moment abwartet, in dem ich mit Haaren voller Shampoo unter der Dusche stehe, um endgültig den Dienst zu verweigern. Dieser Tag scheint heute aber noch nicht gekommen zu sein, morgen muß ich also wieder bangen.

10:20 Uhr, Einkaufen auf dem Campingplatz

Auch heute habe ich wieder das letzte Exemplar der "Liberation" erwischt, meiner geliebten französischen Tageszeitung. Aber wahrscheinlich wird sie schon morgen ausverkauft sein, und was soll ich dann lesen ? "Le Monde" etwa ?? Pah ! Ersatzweise trifft mich der erste ernste Schlag des Tages im Laden selber: die Croissants sind ausverkauft. Ich beweise ungeheure Flexibilität, in dem ich ersatzweise ein Pain au Chocolat und eine frischgebackene Rosinenschnecke zu meinem Frühstück erwerbe, stelle aber sicher, daß die Verkäuferin sich auch der Tatsache bewußt wird, welch unerhörtes Opfer dies für mich bedeutet.

11:30 Uhr, Mails abrufen

Der Kaffee ist ausgetrunken, die Zeitung ist gelesen, und so ist es nun an der Zeit, meine Emails abzurufen - schließlich ist es für viele Leute wichtig, auch während des Urlaubs mit mir in Kontakt zu bleiben. Insgesamt sind es heute 11 Mails: 4 Spam-Mails, 5 Mails von Mailinglisten, und zwei direkt für mich bestimmte. Drei der Mailinglistenmails sind Digests, die alle Einzelmails des letzten Tages zusammenfassen - ich lese alles aufmerksam, schließlich war erst vorletzten Monat ein recht (naja, halbwegs) interessanter Beitrag dabei. Um 12:00 bin ich dann soweit, die Mail einer guten Bekannten zu beantworten. Sowas, die scheint der Auffassung zu sein, ich wäre zu beneiden, bloß weil ich hier im Urlaub bin... das will klargestellt werden. Ich verfasse eine ausführliche Darstellung aller Regenschauer der letzten anderthalb Wochen, glücklicherweise habe ich mir diesbezüglich Notizen gemacht.

12:30 Uhr, Geschäftliches

Die zweite private Mail ist von einem Exkollegen, der gerade eine neue Firma aufmacht, und dem gegenüber ich schon Interesse gezeigt habe, mich abwerben zu lassen - sie enthält den Entwurf des Geschäftsplans der neuen Firma. Kann sich denn kein Mensch vorstellen, daß ich einmal im Jahr von meiner Arbeit in Ruhe gelassen werden möchte ? Aber was hilft es, das muß ich mir anschauen, und beantworten. Und ich kann mich dazu nicht mal vor das Mobilhome setzen, die Sonne scheint so hell, daß man auf dem Laptop nichts mehr erkennen kann. Ich lese den Entwurf also zweimal durch, sauge mir ein paar Anmerkungen aus den Fingern, und mache daraus dann auch noch wohlgesetzte Prosa. Hoffentlich weiß der Exkollege das auch zu würdigen, daß ich gerade aus seinen unausgewogenen Träumereien ein Businesskonzept gemacht habe, nach dem sich die Banken die Finger lecken werden.

14:00 Uhr, endlich entspannen

Seit drei Tagen warten vier Postkarten darauf, geschrieben zu werden... aber ich habe mich für 15:00 Uhr mit meinen englischen Freunden verabredet, und wahrscheinlich werden die dann gerade in dem Moment hereinplatzen, wo ich die brillantesten Ideen für die Karten habe. Also nehme ich mir lieber ein Buch zur Hand, und verschiebe das Schreiben der Postkarten, zumindest der ersten, auf morgen.

15:00 Uhr, Ausflug

Zusammen mit den englischen Freunden, einem Paar mit seinem 17-jährigen Sohn, fahre ich zum Einkaufen in meine Lieblingsdestillerie. Dort übernehme ich an Stelle der Verkäuferin das Verkaufsgespäch, natürlich unter ausgiebigen Probieren der diversen Schnaps- und Likörspezialitäten der Gegend. Letztlich kaufen die drei eine Flasche Schnaps, eine Flasche Likör und zwei Flaschen Vin de Peche - Engländer haben halt keinen Geschmack, die wissen nicht was wirklich gut ist, warum nehme ich sie eigentlich überhaupt auf solche Touren mit ? Ich demonstriere, wie ein echter Connaisseur an die Sache rangeht, und lasse die Verkäuferin Flasche um Flasche für mich heranschleppen. Wie immer ist das Verhältnis der Einkäufe umgekehrt proportional zur Personenzahl der Einkäufer, so daß ich die Destillerie mit einem 12-er Karton verlasse. Ob meine Freunde davon was lernen ?... aber das bezweifele ich eher.

16:30 Uhr, Terrasse der Bar

Zurück vom Ausflug sitzen wir auf der Terrasse der Bar des Campingplatzes. Ein Bier wäre jetzt nicht schlecht... aber die Engländer haben mich schon so seltsam angeguckt, als ich beim gemeinsamen Abendessen zuletzt allein eine Flasche Wein leer gemacht habe. Ich tue also so, als könne ich mir im Moment nichts leckereres vorstellen als einen großen Milchkaffee, den ich dann auch noch trinken muß, weil es einfach keine Möglichkeit gibt, ihn unbemerkt wegzukippen. Vor der Terrasse liegt der Swimmingpool des Platzes, wo sich ein ganzer Teil der noch verbliebenen Urlauber tummelt. Den ganzen Tag am Pool rumzuhängen soll Urlaub sein ? Die könnten ja wohl wirklich die Gelegenheit nutzen und sich kulturell weiterentwickeln, z.B. durch den Besuch der Kirchen und Schlösser der Gegend... aber es sind wohl Leute von schlichterem Gemüt, was will man da groß erwarten ?

17:30 Uhr, vor dem Mobilhome

Urlaub ist schon anstrengend, täglich will das Geschirr abgewaschen werden. Ich überlege, ob es einfacher wäre, alles unter die Dusche zu stellen, und dann... aber das scheint nicht viel zu bringen. Ich identifiziere statt dessen drei der fünf Teller, von denen man auch so prima noch einmal mehr essen kann, und spüle nur die restlichen zwei. Danach öffne ich endlich mein verdientes Bier, und setze mich mit meinem Buch in den Halbschatten vor dem Mobilhome. Einmal am Tag wird man sich ja auch mal ein wenig erholen dürfen !

19:00 Uhr, Abendessen

Die Zeit für den Aperitiv ist gekommen. Zur Auswahl stehen Pastis, Gin-Tonic, Kir und Portwein - wobei letzterer eigentlich zum Marinieren von Obst gedacht ist. Irgendwie ist das öde, andauernd das gleiche zu trinken, ich merke mir im Geist vor, die Auswahl morgen deutlich zu erweitern, und gebe mich für heute mit einem Kir zufrieden. Eine Viertelstunde später werfe ich den Grill an, und während sich die Glut langsam durch die Holzkohlen frißt, ziehe ich mir eine Scheibe fertiger Fischpastete aus dem Supermarkt rein. Auf den Grill kommen verschiedene Fleischstücke, praktischerweise auch schon vom Supermarkt als Mixed-Grill zusammengestellt. Danach gibts ein Stück Käse, eine halbe Melone und Schokopudding aus dem Kühlschrank. Jaja, Leben wie Gott in Frankreich - für mich als überaus talentierten Koch kein Problem. Ich bedaure die anderen Urlauber ein bischen: wahrscheinlich löffeln die gerade Ravioli aus der Dose, die sie sich auch noch von zuhause mitgebracht haben ! Jedenfalls werde ich ihnen kein Wort glauben, wenn sie nachher von irgendeinem unverschämt frischen Fisch berichten, den sie in einer leichten Krebssauce zubereitet haben wollen...

21:30 Uhr, in der Bar

Die englischen Freunde bringen mir ein englisches Kartenspiel bei: Kinderkram. Allerdings verdirbt es mir schon ein bischen den Abend, daß ich nur zwei der drei anschließend gespielten Runden gewinne. Engländer können halt einfach nicht verlieren ! Meine Versuche, in der Bar mit meinen Sprachkenntnissen mir dir gebührende Anerkennung zu verschaffen, habe ich übrigens leider aufgeben müssen: keine Ahnung, wo der Besitzer immer sein Personal herholt, vielleicht aus der Sonderschule, jedenfalls verstehen die mein perfektes Französisch einfach nicht, und ich wiederum bin nicht bereit, mich auf das Niveau ihres lokalen Dialekts herunterzubegeben. Wieder einmal beweise ich im Laufe des Abends, daß ich mit Abstand der trinkfestete von allen bin.

23:30 Uhr, zurück im Mobilhome

Zurück im Mobilhome lege ich mich erstmal aufs Sofa (wenn man die Sitzgruppe denn so bezeichnen mag), und lasse die Ereignisse des Tages Revue passieren. Wieder ein Tag, den ich bravourös gemeistert habe. Aber zu voreiliger Zufriedenheit besteht noch kein Anlass - der Urlaub ist schließlich erst zur Hälfe vorbei, und die zweite Hälfte will auch noch überstanden werden...


 
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