(my way, 01/96)

Sich einfach treiben lassen
Nicht peinlich, sondern allzumenschlich: Mattis Manzels Romandebüt "Peinlich"

Die Menschheit onaniert, quetscht sich häßliche Hautpusleln aus, kotzt, kackt und kopuliert. Trotzdem genieren sich viele Menschen, über diese Dinge zu sprechen, und viele Autoren, über diese Dinge zu schreiben.
Nicht so der fünfunddreißigjährige Berliner Musiker und Schriftsteller Mattis Manzel. Nach seinem Erzählband "Zwei Seemänner sitzen in Barcelona und essen einen Albatros" (1991) erschien in diesem Jahr sein erster Roman "Peinlich". Sicherlich haben sich ganze Schriftstellergenerationen vor Manzel mit diesen Thematiken auseinandergesetzt, doch nur wenige Autoren verstanden es wie er, diese so bizarr und witzig zu gestalten. Sein Romandebut weist alle Eigenschaften auf, die ein moderner Roman aufweisen sollte - dies ist vielleicht ein Manko des Buches. Die Linearität der Erzählung wird von Dialogsequenzen, essayistischen Passagen, Tabellen und konkreter Poesie durchaus geschickt - so wie es Manzel auch beabsichtigte - durchbrochen, jedoch haben diese Staudämme im Erzählstrom heutzutage viel von ihrer Attraktivität und Originalität verloren. Die Zeit rast, mit ihr die Mode und Moderne. Nichtsdestotrotz ist Manzel ein begabter, wortreicher Arrangeur, der die Stil, Sprach- und Tempiwechsel zu einen lesenswerten Roman bündelte.
Die männliche Hauptfigur der Geschichte heißt wenigstens bis zur Hälfte des Romans Peinlich, und wie das gleichnamige Gefühl besitzt Peinlich "keine Meinung". Damit präsentiert er sich als ein unangenehmer, verkommener Nachfahre von Ulrich, Musils "Mann ohne Eigenschaften". Wie Ulrich sieht Peinlich die Geschichte vorbeirasen, ohne eingreifen zu können.
Peinlich, der später in Hermann umgetauft wird, arbeitete wie Donald Duck zeitweise als Museumswärter und "wurde dafür bezahlt, daß er existierte". Zu mehr ist er nicht berufen, doch wozu sind wir eigentlich berufen? Auf diese Frage findet, beinah natürlich, Peinlich keine Antwort, allein deshalb verbindet ihn mit uns eine Menge. Auch die von Peinlich erwähnten Künstler, etwa Schneetau, Austin, Foztell oder Zwing, könnten dem Entenhausener Kosmos entsprungen sein und wirken aus diesem Grund so realistisch. Als Peinlich von seiner schwangeren, hysterischen Frau auf die Straße gesetzt wird, kann er nur noch eins: sich bis an das Ende des Romans treiben lassen.
Manzel versteht alltägliche, oftmals banale Episoden vergnüglich in Worte zu hüllen, und teilweise klischierten Figuren, wie etwa dem Prototyp des Musikjournalisten, der dem Haßsong "Journal" der Hamburger Band "Milch" entflohen sein könnte, Seele einzuhauchen. Nebenher erfahren wir durch den Roman viel Wissenswertes über Kondome. All dies ist nicht peinlich, sondern sehr unterhaltsam. Marc Degens

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