Versuch einer Rezension
Tanztheater in den Kammerspielen
Das Licht geht aus. Links oben steht ein Mann in einer weißen Zwangsjacke auf einem
Stapel Pappkisten. Das Ganze vor einer riesigen Mauer - "The Wall" - ebenfalls aus Pappkisten.
Die ersten Akkorde klingen aus den Boxen, "goodbye, world" heißt es im Text, der Mann setzt
sich die Pistole an die Schläfe, doch er drückt nicht ab, er wird im Verlaufe des Stückes
diese Pistole noch öfter in der Hand halten, doch beenden wird er all das nicht. Ein anderer
kommt von hinten, greift den Arm, welcher die Waffe hält und zieht ihn fort, fort vom Kopf, vielleicht
fort von Erlösung und Leichtigkeit, doch das weiß keiner so genau.
Druch kleine Öffnungen im unteren Teil der Mauer zwängen sich drei Leiber, gleichzeitig wird die Musik
schneller, lauter. Aus der Mauer hervorgekrochen zucken die Tänzer auf dem Boden liegend ekstatisch,
verlieren sich in einer Musik, die ihresgleichen nie gesucht hat, auch nie gefunden hätte, und
springen schließlich auf, um wild gestikulierend, auf absurde Art und Weise zu tanzen.
Eineinhalb Stunden lang wird nun ein Leben erzählt, gestützt von Tanz und glanzvollem schauspielerischem
Talent, aber basierend einzig und allein auf der Musik.
Alle Charaktere sind gefangen, zwischen Lachen und Weinen bewegen sie sich, agieren gemeinsam, obschon stetige
Einsamkeit sich gleich einem roten Faden durch das Stück zieht. Bindungen bleiben zeitlich klar begrenzt,
Zärtlichkeit und Gewalt stehen in ständigem Wechsel, die Frage nach Liebe wird nicht gestellt,
ein Lächeln für die Kamera zum Aufrechterhalten der Fassade, der Mauer, hier, im nächsten Moment der Blick dahinter,
ein von der Decke hängender Strick, fast liebevoll streichelt eine Frau mit leeren Augen das letzt
Werkzeug. Irgendwann sind wir nur noch Marionetten, willenlos und gewissermaßen leblos, geworfen in
das Dasein und Spielball höherer Mächte, zerrüttet, gefangen in uns selbst.
Einer trägt eine Uniform aus Pappkartons, er kommt nicht mehr hinaus.
Ein vordergründiges, halbherziges Lachen wird abgelöst von sanftem Schluchzen, das viel tiefer
geht. Es sind Trauer, Depression, Einsamkeit, vieles mehr noch, die dieses Stück dominieren, es
ist ein sehr tiefgründiger Weltschmerz der alldem zugrunde liegt und verdeutlicht wird durch konfuse Tänze
und skurrile Bewegungen, es ist eine Anklage von Lüge, Doppelmoral und falschen Zwängen.
All dies ist ohne Grundlage der Musik nicht darstellbar, eine Musik aus drei Jahrzehnten, über,
doch gegen den Krieg, gegen sinnlose Repression, gesellschaftliche Zwangsjacken und Scheinwelten,
aus verschiedenen Lebensabschnitten, mit unterschiedlichen Intensionen, in sich aber als Ganzes gschlossen.
Im Kreislauf aus Verlust und Gewinn, Freude und Leid, Freiheit und Unterdrückung findet weder die Musik noch der Tanz
den Ausweg, beide lassen ihren Klienten zurück mit einem bitteren Nachgeschmack, doch irgendwo,
sehr weit hinten, blitzt ein Schimmer der Hoffnung, ein matter Glanz, gleich dem Licht, welches der Mann
vom Lande in dem Gesetz erblickt, ein matter Glanz der zu sagen scheint "keep on walking".
Am Ende schlägt eine Kugel ein Loch in die Mauer und einer schlüpft hindurch.
Eine Hommage an Leben und Werk einer Band mag man sagen, bestimmt auch das, aber vor allem ist "The Wall"
ein überdimensionales Flugblatt, ein riesiger, neongelber Pfeil, der die Missstände, die Sinnlosigkeit, beim Schopfe packt
und sie herumwirbelt, bis auch der Letzte sie erkannt hat und dann, aber erst dann, ist es eine Aufforderung
zum Handeln.
Die Symbiose, die Musik und Tanz eingehen funktioniert deswegen so gut, weil wir sie nicht in Frage stellen, auch die Tänzer nicht,
eben weil es so authentisch ist und uns erinnert, denn jeder sucht manchmal Hände um sich festzuhalten, jeder von uns ist Teufel
Engel, ist Erbauer und Zerstörer, jeder will umarmt werden und kann nicht umarmen, jeder wimmert irgendwann in völliger Dunkelheit
und Stille, jeder stirbt und wird geboren, immer und immer wieder.
Dies abstrakte Darstellung unserer Selbst erhebt fast lächerlich wirkende, orgiastische Tänze zu Spiegeln und uns zu Betrachtern
unseres Spiegelbildes. Und ist es auch nicht schön anzusehen, das Bildnis, so wenden wir unsere Augen doch nicht ab.
Denn schließlich geht es immer weiter.
P.S: Ihr habt sicherlich gemerkt, dass mich dieses Stück im Nachhinein kaputt gemacht hat. Entschuldigung.
Thx.
Piece&out
-der snooc