Linz (OÖ.)

Pfarrkirche hl. Martin.

Bau I: Saalkirche mit Mittelschranke, 8. Jahrhundert.

Bau II: Zentralbau, agilolfingisch oder karolingisch, nach 799.

Bau III: Einschiffiger Nischenbau, nach Zerstörung während der Ungarneinfälle, Mitte 11. Jahrhundert.


In der frühesten Urkunde über die Martinskirche von 799 wird überliefert, daß Graf Gerold, Präfekt Bayerns und vermutlich seit 788 Statthalter von Linz, auf Lebenszeit das Lehen über die Martinskirche erhält, das nach 788 der Kapellan Karls des Großen, Rodland, innehatte. Nach dem noch im gleichen Jahr im Kampf gegen die Awaren gefallenen Graf Gerold ging St. Martin als Eigenkirche an den Bischof von Passau. Zwischen 985 und 991 wird eine Taufkirche in Linz erwähnt, welche im Allgemeinen mit der Martinskirche in Verbindung gebracht wird, jedoch ist St. Martin als Pfarrkirche erst ab 1111 urkundlich nachweisbar. Der Sitz der Pfarre wurde 1281 von St. Martin in die Stadt verlegt.

Durch die Bauuntersuchungen und ersten Ausgrabungen von F. Juraschek und W. Jenny (1947/1948) konnte zunächst festgestellt werden, daß im Mauerwerk des auffallend langgestreckten und barock umgestalteten Saalraums wesentliche Teile der vor- bzw. frühromanischen Bauten erhalten blieben. Die bisherige Annahme eines gänzlichen gotischen Neubaus erwies sich daher als irrig, da nur der polygonale Chor aus der Zeit um 1448 stammte. Weitere archäologische Teiluntersuchungen (1960, 1970 und 1975) in dem stark gestörten Gelände führten zu kontroversiellen Rekonstruktionsversuchen. Erst die letzte, leider noch nicht vollständig ausgewertete Untersuchung durch J. Offenberger (ab 1977), erbrachte zumindest die relative Chronologie und die Festlegung von drei früh- bis hochmittelalterlichen Bauphasen. Die nähere zeitliche Bestimmung und die kunsthistorische Einordnung hat zur Zeit noch hypothetischen Charakter und wird letztlich auch von der archäologischen Schlußbewertung abhängen.

Archäologisch konnte eine seit der Keltenzeit bestehende Siedlungskontinuität nachgewiesen werden. Dem ersten Kirchenbau gingen mehrere römische Bauphasen, ein militärischer Wirtschaftsbau (5. Jahrhundert) in Stein und eine Zerstörungsphase, die mit der bayrischen Landnahme in Beziehung gesetzt wird, voraus.

Von diesem Kirchenbau erhielten sich die Fundamente eines Rechteckbaus, der durch eine Schranke (?) in zwei Räume geteilt wurde. Die geringe Fundamentstärke läßt auf einen Holzbau über Sockelmauern schließen. Aufgrund mehrerer Bestattungen wird dieser sehr kleine und einfache Bau als Kapelle identifiziert und von J. Offenberger ins 8. Jahrhundert datiert, während K. Czerwenka aufgrund des Typus eine noch frühere Datierung nicht ausschließt.

Vom zweiten frühmittelalterlichen Kirchenbau wurden die Fundamente einer Dreikonchenanlage mit viertelkreisförmigen Hauptmauern ergraben. Die Pfeiler dieses Vierstützenbaus wurden beim Umbau zum bestehenden Saalraum beibehalten. Die Rekonstruktion des Aufgehenden erweist sich jedoch als schwierig, insbesondere was den Nachweis eines zentralen Turmaufbaus betrifft. Außerdem sind die Fundamente der Umfassungsmauern auffallend schmal dimensioniert.

Mögliche Vorbilder für den Zentralbau liegen einerseits in Oberitalien, andererseits zeigt auch die bischöfliche Stephanskirche in Werden (819 - 827) eine Dreikonchenanlage mit kreisförmigen Umfassungsmauern (K. Czerwenka). H. R. Sennhauser hat für den Typus des Zentralbaus auf die Kapelle Theodulfs von Orléans in Germigny-des-Prés (Frankreich, um 806) verwiesen, während B. Rittinger eine Rekonstruktion des Aufgehenden in der Art spanischer Zentralbauten vorschlägt.

Der Zentralbau von St. Martin in Linz wird - im Gegensatz zu früheren Datierungen (Juraschek, um 700), die auf der Interpretation der unvollständigen Grabungen beruhten - mit der 799 bereits als bestehend genannten Kirche identifiziert.

Durch Abmauerung der offenen Bogenstellungen des Zentralbaus und Schleifung der äußeren Umfassungsmauern wurde der bestehende, flachgedeckte Saalraum geschaffen. Die Ostkonche wurde als Apsis beibehalten. Die Westwand dürfte erst 1589 neu errichtet worden sein. Ein Streifenfundament zwischen den beiden ehemaligen Ostpfeilern kann als Rest einer Chorschranke gedeutet werden. Die Längswände werden durch Dreiergruppen von flachen Nischen gegliedert, deren Bogensteine nicht als Keilsteine, sondern - ähnlich wie in der Backsteintechnik - als kleine Quader ausgebildet sind. Durch die Materialdifferenzierung von Kalktuff und Ziegeln werden diese Bögen farblich rhythmisiert. Reste von im Querschnitt segmentbogigen Nischen im östlichen Drittel des Saalraumes, die im Gegensatz zu den Dreiergruppen im "Langhaus" bis zum Boden reichen, lassen darauf schließen, daß gemeinsam mit der im Fundament nachweisbaren Schranke eine Art Chor ausgewiesen wird, an den dann die Apsis des Vorgängerbaus anschloß.

Aus archäologischer Sicht wird der Umbau des Zentralbaus zum Nischenraum mit einer Wiederherstellung nach den Ungarnstürmen im 10. Jahrhundert in Verbindung gebracht. K. Ginhart datiert diese Phase aufgrund von Regensburger Nischenbauten (z. B. Wolfgangskrypta, St. Emmeram, 1052 geweiht) um die Mitte des 11. Jahrhunderts, während K. Czerwenka die Nennungen von 985 und 991 als termini ante quem in Betracht zieht.


Literatur: Juraschek/Jenny, Martinskirche, 1949. - Jenny, Martinskirche, 1950, 39ff. - Eckhart, Martinskirche, 1961, 90 - 96. - Egger, Martinskirche, 1963, 165 - 168. - Schmidt, Kirchen, 1964, 283 - 299. - Oswald/Schaeffer/Sennhauser, Kirchenbauten, 1966, 175f. - Ginhart, Martinskirche, 1968. - Offenberger, Martinskirche, 1977, 24ff. - Rausch, Martinskirche, 1977, 29ff. - Offenberger, Martinskirche, 1980, 579f. - Rausch, Martinskirche, 1985, 63ff. - Rittinger, Martinskirche, 1986, 26 - 35. - Czerwenka, Architektur, 1992, 75 - 79.

Ergänzungen 2005: Quelltext und Übersetzung der Urkunde von 799

Rudolf Koch, Die Baugeschichte der Martinskirche in Linz, vom frühen bis ins späte Mittelalter, in: 1200 Jahre Martinskirche Linz (799 - 1999), Kat. des oö. Landesmuseums, NF. 143, Linz 1999, S. 63 - 70


Register


© studiolo 19.06.99 21:39

Linz, St. Martin. Die Urkunde von 799

Latores leges sancxerunt, ut qui de substantiis vel rebus ecclesiasticis alicui alicuid conaverit commodare, hoc coram pluris testibus per scripturarum seriem firmiter roboretur, ut in evum inconvulsum quiverit perseverare et non etiam umquam abstrahenda sint a iure ecclesiastico. Dum et omnibus non habetur incognitum, qualiter ego Keroldus comes postulando petii et obnixa prece deprecatus sum Unaldricum episcopum quendam capellam ipsius ex cessione regis ut nobis eam in beneficium concedere deberet usum fructuarium excolere. Quod ita et ipse propter amorem et magnam dilectionem nostram taliter visus est celsitudinem nostram honorare vel studium honoris impendere et ipsum prestitum dixit nobis esse concessum, hoc est in pago Trungouue in loco, cui vocabulum est Linze, super magnum flumen Danubium id est ecclesia, que constructa (est) in honore sancti ac beatissimi Martini episcopi atque confessoris Christi, cum omni pertinentia vel soliditate suacuicquid ad ipsa ecclesiam vel ad ipsum castrum aspicere vel pertinere videtur, quam quondam Rodlandus capellanus domi nostri regis in beneficium tenere visus fuit et postea domus rex ipsi pontifici per suam clementiar ipsam capellam vel res ipsius sub omni custodia vigilanti cura et pastorali gubernatione tradidit regendam. Nunc veto nobis in quantum sua fiat dominatio usque ad obitum vite nostre vel usque quo nostra decreverit voluntas libero arbitrio statuit ipsas res nobis fruere dominare atque possidere. Propterea visi sumus censire exinde ei amnis singulis de argento solidos XX, ut ipsos ad nativitatem sancti Johannis baptiste, quod est VIII. Kal. Jul., exsolvere non tardamus. Et statim complacuit nobis, ut in aliqua miseratione res ipsas eminorare non debemus et post obitum nostrum ad ipsum locum integriter deservire valeant secundum pristinam institutionem. Actum ad Treisma, quando illia sacra synodus ibi anno resedit, die XX. mensis Junii indictione VII in anno XXXII regni Caroli regis.

Die Gesetzgeber haben festgesetzt, daß, wenn jemand von kirchlichem Vermögen oder kirchlichen Dingen irgendjemand etwas zu leihen unternommen haben würde, dies in Gegenwart mehrerer Zeugen durch Ordnung in Schrift festiglich bekräftige werde damit es unverändert zu beharren vermag und nicht auch jemals vom kirchlichen Recht abgezogen werde. Es wird als allen nicht unbekannt gehalten, daß ich Graf Kerold bittweise begehre und mit inständiger Bitte von Bischof Waldricus erbeten habe, eine bestimmte Kapelle desselben aus Bewilligung des Königs, daß er sie uns als Beneficium überlassen dürfe, um den Ertrag zu verbessern. Weil er so auch selbst wegen (seiner) Liebe und unserer großen Wertschätzung derart erscheint, daß er unsere Herrlichkeit ehrt sowie Eifer für die Ehrung aufwendet, hat er ausgesprochen, daß dieses Begehren uns gewährt sei, das ist im Traungau in dem Ort, dessen Name Linz ist, über dem großen Fluß Donau nämlich die Kirche, die zu Ehren des heiligen und seeligsten Bischofs und Bekenners Christi Martinus erbaut ist, mit allem Zubehör und Besitz, was immer zu dieser Kirche und zu dieser Burg hinzusehen oder zu gehören scheint, die vordem der Kapellan unseres Herrn Rodland als Beneficium gehabt hat und hernach der Herr König dem Bischof durch seine Mildigkeit übergeben hat, damit er diese Kapelle unter seinem vollen Schutz mit wachsamer Sorge und bischöflicher Leitung regiere. Nun hat er uns festgesetzt, soweit seine Herrschaft reicht, bis zum Hingang unseres Lebens oder solange, als es unser Wille in freiem Entscheid beschließt, diese Dinge für uns zu nutzen, zu beherrschen und zu besitzen. Dafür müssen wir ihm davon Zinsen in jedem Jahr 20 Schilling in Silber, so daß wir nicht säumen, sie zum Geburtstag des hl. Johannes des Täufers, das ist am 24. Juni, zu zahlen. Und zugleich hat uns gefallen, daß wir in einem Unglück diese Sachen nicht vermindern dürfen und daß sie nach unserem Tod ungeschmälert demselben Ort dienen sollen entsprechend der früheren Einrichtung. Geschehen zu Treisma, in dem Jahr, als hier eine heilige Synode abgehalten wurde, am 20. Tag des Monats Juni, Römerzinszahl 7, im 32. Jahre des König Karls.  

Übersetzung und Transkription nach Erich Trinks, Die Urkunde von 799, in: Franz Juraschek, Wilhelm Jenny, Die Martinskirche von Linz, ein vorkarolingischer Bau in seiner Umgestaltung zur Nischenkirche, Linz 1949, 83 f.


 

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