Göß I: Dreischiffige flach gedeckte Basilika (Rekonstruktion), Hallenkrypta mit Umgang; vor 1020.
Göß II: Neu- oder Wiederaufbau inkorporierter Osttürme; 1. Hälfte 12. Jahrhundert.
König Ludwig das Kind schenkte 904 dem Grafen Arpo (Aribo) 20 Königshuben beidseits der Mur. Dieses Schenkungsgut verwendeten um 1000 der bayrische Pfalzgraf Aribo II. und seine Gattin Adala für die Gründung des ersten steirischen Klosters. Ihr Sohn, Aribo III., schloß 1020 die Stiftung ab und übergab sie im Beisein des Papstes Benedikt VIII. dem Schutz Kaiser Heinrichs II., der dem Stift die Immunität verlieh. Die Erhebung zur reichsunmittelbaren Abtei - der einzigen Österreichs - entzog das Stift dem unmittelbaren Einfluß des Salzburger Metropoliten und kann nur im Zusammenhang mit der politischen Stellung Aribo III. gesehen werden. Aribo III. war Erzdiakon von Salzburg, Blutsverwandter und Kapellan des Kaisers, ab 1021 - 1031 Erzbischof von Mainz und Erzkanzler. Aribos Schwester Kunigunde trug als erste Äbtissin auch den Titel einer geistlichen Reichsfürstin. Die Besiedlung erfolgte durch Benediktinerinnen bzw. Kanonissen des Stiftes Nonnberg (Sbg.) Bei der Übergabe 1020 waren Stift und Kirche bereits eingerichtet.
Die der hl. Maria und hl. Margaretha geweihte Stiftskirche übernahm um 1070 auch die Funktion der Pfarrkirche. Diese Funktion ging jedoch unter dem Einfluß der Hirsauer Reform zwischen 1177 und 1188 auf die neu erbaute Andreas-Kirche über. Seit der Aufhebung des Stiftes 1782 dient die Stiftskirche wieder als Pfarrkirche von der sie das Patrozinium des hl. Andreas übernahm. Von 1783 - 1800 war Göß Bischofsresidenz des durch Kaiser Joseph II. errichteten Bistums Leoben.
Die Stiftskirche, eine sechsjochige, dreischiffige Hallenkirche von 1510 - 1522, an die ein erhöhter zweijochiger Langchor von 1338 anschließt, trägt über den östlichsten Seitenschiffjochen ein romanisches Ostturmpaar, das 1868 noch um zwei Geschosse erhöht wurde. Zwischen den Turmjochen befindet sich unter dem gotischen Chor eine dreischiffige Hallenkrypta mit Umgang, der jedoch - ebenso wie die zugehörige Apsis - durch den gotischen Chorbau zerstört wurde.
Die erste Klosterkirche von Göß, welche bei der Übergabe des Klosters 1020 bereits fertiggestellt war, kann als dreischiffige flachgedeckte Pfeilerbasilika mit sechs quadratischen Seitenschiffjochen, denen drei Mittelschiffjoche entsprachen, rekonstruiert werden, sodaß sich die Länge des Kirchenschiffs zur Breite wie 3 : 2 verhielt. Die Langhausbreite wurde beim spätgotischen Neubau beibehalten, während man das gotische Kirchenschiff um ein Joch nach Westen erweiterte. Dem frühromanischen Langhaus war - ähnlich wie bei der Stiftskirche von Nonnberg (Sbg.) - ein westlicher Kreuzgang vorgelagert. Auch die beiden kapellenartigen Ostjoche der Seitenschiffe, die durch eine Art Triumphbogen vom übrigen Langhaus abgesonderten sind, gehören zum Erstbau von Göß. An sie schlossen ursprünglich zwei schmale Apsiden an, während die Hauptapsis in gleicher Flucht sich in voller Breite zum Mittelschiff öffnete.
Ein ungelöstes Problem bildet die Frage, ob schon der Erstbau über den ausgeschiedenen und kreuzgratgewölbten Ostjochen Türme trug. Am Dachboden über den Seitenschiffen konnte I. Woisetschläger-Mayer eine schräg verlaufende Baunaht zwischen dem Mauerwerk der östlichen Seitenschiffwand und der Turmwand feststellen, welche sich auch durch das Mauerwerk unterscheidet. I. Woisetschläger-Mayer nimmt - wie die Forschung seit R. Pühringer - schon für den Erstbau ein Ostturmpaar an, welches jedoch nach einem Brand, der allerdings nicht urkundlich belegbar ist, mit vier Obergeschossen wieder aufgebaut wurde. Die Datierung stützt sich dabei auf die Form der gekoppelten Rundbogenfenster mit einfachen Kämpferplatten in der ehemaligen Glockenstube. W. Deuer hingegen sieht in der Baunaht eine ehemalige Giebelschräge, welche beim frühromanischen Bau das Pultdach des Seitenschiffs trug. Die Stiftskirche wäre somit entgegen der bisherigen Forschung als ursprünglich turmlos zu rekonstruieren; erst nach dem Brand, den Deuer zeitlich mit 1100 - 1150 präzisiert, hätte man das Ostturmpaar auf die Giebelschrägen aufgesetzt. W. Deuer versucht dies auch aus der Typengenese zu untermauern, wobei er sich auf die gleichen Beispiele beruft, welche schon R. Pühringer und zuletzt I. Woisetschläger-Mayer für die frühromanische Variante integrierter Ostturmpaare genannt haben. Sicher ist lediglich, daß die vier mittelalterlichen Turmgeschosse substanziell aus der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts stammen, während das Untergeschoß noch zum Bau des frühen 11. Jahrhunderts gehört. Es erscheint jedoch wenig überzeugend, daß integrierte Ostturmanlagen erst gegen Ende des 11. Jahrhunderts in unser Gebiet kamen und in Verbindung mit drei vorgelegten Apsiden erst ein Charakteristikum des 12. Jahrhunderts sein sollen, wie W. Deuer meint, denn schon bei der 1072 geweihten Benediktinerstiftskirche von Michaelbeuern (Sbg.) kann ein Ostturmpaar in nuce nachgewiesen werden. Gleiches gilt für den Heinrichsbau des Bamberger Domes (ca. 1007 - 1012), wie Grabungen und die Nennung der Türme in Herbords "Vita Ottonis" belegen. Auf die Möglichkeit, daß ein engerer Zusammenhang zwischen der Gründungsgeschichte der Aribonenstiftung in Göß und dem von Kaiser Heinrich II. gestifteten Dombau in Bamberg bestünde, hat bereits R. Wagner-Rieger hingewiesen. In diesem Sinne wäre eine Ableitung der inkorporierten Osttürme in Göß von schwäbisch-hirsauischen Vorbilder ebenso hinfällig, wie die prinzipielle Spätdatierung in die zweite Bauphase.
Die dreischiffige, dreijochige, kreuzgratgewölbte Hallenkrypta mit tonnengewölbten Umgang wurde ursprünglich durch seitliche Eingänge am Triumphbogen erschlossen, wobei die Außenmauern des Umganges zugleich die Fundamente für die Mittelapsis bildeten. Im Barock ersetzte man die Zugänge durch eine Stiegenanlage im Nordturm und im Langhaus.
Die wenig sorgfältig geformten Kreuzgratgewölbe des kleinen Vierstützenraums werden durch sichelförmige Gurtbögen unterteilt. Die nordwestliche Säule mit Spiralkannelur ist eine monolithe Spolie, die von einer bei Donawitz lokalisierten antiken Grabkapelle stammt. Das südliche Pendant ist unprofiliert und aus zwei Teilen zusammengesetzt. Die basenlosen Ost-Pfeiler tragen Trapezkapitelle aus Tuff. R. Pühringer hat erstmals darauf hingewiesen, daß die einfache Pfeilerform, die Pyramidenstumpfkapitelle und die Gewölbe mit den sichelförmig heruntergezogenen Gurtbögen Merkmale einer Gruppe schwäbischer bzw. baden-württembergischer Krypten sind, welche die Krypta von Göß als Werk des frühromanischen Erstbaus ausweisen. Der Vierstützenraum mit halbkreisförmigem Abschluß kann als Typus schon im Frühmittelalter nachgewiesen werden. Auffallende Übereinstimmung besteht mit der Krypta der Stiftskirche von Amsoldingen (Kanton Bern, Ende 10. - Mitte 11. Jahrhundert) und der Pfarrkirche von Ladenburg (Baden-Württemberg, 2. Viertel 11. Jahrhundert). Amsoldingen ist außerdem im Grundriß - vor allem in der Gestaltung der Ostteile ohne aufgesetzte Türme - mit Göß verwandt, ohne daß daraus auf eine konkret nachvollziehbare Abhängigkeit geschlossen werden kann. Ganz allgemein werden hier Verbindungen zu Schwaben und den Oberrhein fühlbar, worauf schon R. Pühringer verwiesen hat.
Als zweite Komponente der Krypta von Göß ist der Umgang anzusehen, der durch seine Enge und Art der Wölbung seine Wurzel im Typus der Ringkrypta verrät. Die Krypta könnte in näherem Zusammenhang mit den Grabstätten der Stifterin Adala und der ersten Äbtissin von Göß, ihrer Tochter Kunigunde, stehen, woraus sich vielleicht die Wahl für eine Umgangskrypta erklärt, welche die Memorialfunktion mit der Möglichkeit der Prozession verbindet.
Literatur: Lind, Göß, 1866, 91 - 98. - Pühringer, Denkmäler 1931, 72 - 75. - Woisetschläger-Mayer, Göss, 1961. - Oswald/Schaeffer/Sennhauser, Kirchenbauten, 1966, 23f. und 101. - Deuer, Klosterkirchen, 1980, 9 - 21. - Dehio, Steiermark, 1982, 263 - 266. - Deuer, Göß, 1982, 275 - 302. - Lebenbauer, Göss, 1992. - Wagner-Rieger, Architektur, 1988, 36.
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studiolo 19.06.99 21:39