Karl der Große

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Leben und Herrschaft: Festigung und Expansion, Einheit von Kirche und Reich

Herkunft, Geburt und Jugend

Karl war der ältere Sohn des späteren Königs Pippin des Jüngeren und dessen Frau Bertrada. Sein Geburtsort ist unbekannt, sein Geburtsjahr umstritten. Wahrscheinlich ist Prüm, der Ort, an dem sich Bertrada vorwiegend aufhielt. Als Geburtsort werden ebenfalls genannt: Aachen, Düren, Quierzy-sur-Oise, Jupille (wo sein Vater geboren wurde) und Herstal in der Nähe von Lüttich in Belgien, der Region, der beide Familien, Merowinger und Karolinger, entstammen.

Sein Biograf Einhard schreibt, dass über seine Kindheit und Jugend schriftlich nichts überliefert sei und auch bei der Abfassung der Biografie (etwa 15 Jahre nach Karls Tod) keine Personen mehr gelebt hätten, die davon hätten erzählen können (cap. IV).

Karl wird Alleinherrscher: Die Lage des Reiches 771

Nach dem Tod seines Vaters 768 teilte Karl – er war 20 bis 26 – die Herrschaft mit seinem Bruder Karlmann. Nach Karlmanns Tod wurde er 771 Alleinherrscher. Zu jener Zeit fielen die früh christianisierten Franken in "barbarische" – d.h. althergebrachte – Gebräuche zurück und vernachlässigten die erworbene Bildung und Religion. Die Sachsen im heutigen Norddeutschland beharrten auf ihrem Heidentum. Im Süden stritt die katholische Kirche mit den Langobarden um Einfluss, Besitz und Macht auf der Apenninen-Halbinsel, auf der iberischen Halbinsel (s. Emirat von Córdoba) drängten die Sarazenen immer weiter nach Norden, im Osten fielen Awaren ein – kurz: Europa war in Aufruhr, und der Bestand des Frankenreiches schien bedroht. Karl I. war offenbar von Anfang an zu einer Neuordnung der Verhältnisse in Westeuropa entschlossen und scheute sich während der Zeit bis 800 nicht, an den unterschiedlichsten Fronten gleichzeitig zu kämpfen.

772: Beginn der Sachsenkriege

Bereits 772 begannen die Sachsenkriege, die 32 Jahre währten und die den "Vater Europas" (Pater Europae), wie Karl später verklärend auch genannt wird, nicht nur in bestem Licht erscheinen lassen.

774: Unterwerfung der Langobarden

Im März 773 baten päpstliche Gesandte am Hof Karls um Unterstützung gegen die Langobarden. 774 eroberten die Franken Pavia. Karl setzte den letzten Langobardenkönig Desiderius ab; dessen Tochter Gerperga, die er zuvor geheiratet hatte, verstieß er bald darauf. Er ließ sich nun selbst zum König der Langobarden krönen. Papst Stephan III. († 772) hatte die Langobarden in einem Brief an die Frankenkönige Jahre zuvor als "eine treulose und stinkende Nation" denunziert, "die nicht einmal zu den Nationen gerechnet wird und von der gewiss die Aussätzigen ihren Ursprung haben". Im Süden blieb das Herzogtum Benevent bis zur Eroberung durch die Normannen im 11. Jahrhundert selbständig, wenngleich es auch zu den Satellitenstaaten des Fränkischen Reiches gezählt werden muss. Karl bestätigte auch die Pippinische Schenkung seines Vaters an die Kirche, aus der später der Kirchenstaat hervorgehen sollte.

778: Kriegszüge gegen die Mauren

Weit geringeren Erfolg brachte ein Kriegszug nach Spanien im Jahr 778. Anlass dafür war ein Hilfegesuch des Emirs von Saragossa, der um Unterstützung gegen den Emir Abd ar-Rahman I. von Cordoba (regierte 756-788) bat: Beim Rückzug wurde ein Teil des fränkischen Heeres von den vermeintlichen "Heiden" (so zeitgenössische Quellen) in der Schlacht bei Roncesvalles aufgerieben. Dabei fiel auch der Graf der bretonischen Mark, Hruotland, der Befehlshaber der vernichteten fränkischen Nachhut. Das Geschehen wird später im Rolandslied wiederaufgegriffen. Aquitanien wurde als ein Unterkönigtum für Karls minderjährigen Sohn Ludwig eingerichtet; zusammen mit seinem zum italischen Unterkönig ernannten Bruder Pippin wurde er 781 vom Papst gesalbt und gekrönt. Die Verhältnisse im Pyrenäenraum konnten so zunächst stabilisiert werden, der Herrschaftsbereich der Franken wurde – wenn auch nur zeitweise – bis nach Girona, Cerdagne, Urgell und Barcelona erweitert. Erst als Folge späterer Auseinandersetzungen mit den Sarazenen (so nannte das spätere Mittelalter die Mauren) wurde 806 die Spanische Mark jenseits der Pyrenäen gegründet.

Eine Folge des militärischen Engagements der Franken in diesem Raum ist das Fürstentum Andorra, das seit der Zeit Karls des Großen de jure unabhängig ist. In der Nationalhymne des kleinen Landes wird Karl der Große überschwänglich besungen .

Die Beziehungen zur arabischen Welt scheinen trotz der Feldzüge und durch die aufgegebene, weil letztlich gescheiterte Eroberung und Rechristianisierung Spaniens nicht generell schlecht gewesen zu sein: 797, nach anderen Quellen 801, schenkte der Kalif von Bagdad, Harun al-Rashid, Karl I. den ersten in der überlieferten Geschichte nördlich der Alpen gesichteten Elefanten namens Abul Abbas. Es handelte sich um einen weißen asiatischen Elefanten.

788: Bayern verliert seine Selbstständigkeit

788 wurden auch die Baiern (so die alte Schreibweise) endgültig dem Reich einverleibt, im Osten die Awarische Mark (ab 856 Marchia Orientalis) als Grenzmark gegen die Awaren errichtet und unter fränkische Oberhoheit gestellt. Der letzte bayerische Stammesherzog Tassilo III., der sein Lehen 757 von Pippin bekommen hatte, versuchte vergeblich, die Eigenständigkeit durch ein Bündnis mit den eigentlich schon unterworfenen Langobarden zu retten. Am Aufbegehren gegen die Franken, die man durch die Auseinandersetzungen mit den Sachsen als voll ausgelastet einschätzte, war auch Herzog Arichis II. von Benevent beteiligt. Die Unbotmäßigkeiten der italienischen Koalitionäre Tassilos waren u.a. durch Belagerungen von Capua und Salerno 786/787 beendet worden. Das bayerische Gebiet, das ab 798 von Salzburg aus zu einer eigenen Kirchenprovinz ausgebaut wurde, blieb nach der Angliederung gleichwohl als politische Entität erhalten. Unter den als Präfekten bezeichneten Amtsträgern des Königs (im 9. Jahrhundert als Unterkönigtum) wahrte es durchaus eine Sonderstellung innerhalb des fränkischen Reichsverbands. Die Eingliederung der Baiern ins Frankenreich war neben der Unterwerfung der Sachsen die wichtigste Voraussetzung für die spätere Herausbildung des Heiligen Römischen Reiches.

 

Um 800: Der neue Schutzherr Roms und der Kirche

Königsthron im Aachener Dom795 wurde Leo III. zum Papst gewählt. Er versicherte sich umgehend der Unterstützung des Frankenkönigs und übersandte Karl I., dem Schutzherrn der Kirche (patricius romanorum), den Schlüssel zum Grab Petri sowie das Banner Roms. Das Papsttum war seit einiger Zeit unter den Einfluss des in diverse Fraktionen aufgesplitterten römischen Stadtadels geraten, der bei der Papstwahl ausschlaggebend war. 799 spitzte sich die Konfrontation mit dem Adel zu; das Kirchenoberhaupt war Ziel eines Attentats bzw. Absetzungsversuches. Leo III., dem u.a. ein unwürdiger Lebenswandel (darunter Ehebruch und Meineid) vorgeworfen wurde, flüchtete zu Karl nach Paderborn. Was dort und unter Umständen schon weit vorher abgemacht wurde, ist nicht geklärt: Möglicherweise wurde erst hier, vielleicht aber auch schon Jahre zuvor die Kaiserkrönung vereinbart. Denkbar wäre auch, dass es dazu überhaupt keine Absprache gegeben hat. Die historische Forschung stört sich vor allem an der Anmerkung Einhards: "Hätte Karl vom Vorhaben Leos gewusst, hätte er die Kirche nicht betreten" (Vita Karoli Magni, cap. XXVIII). Eine andere Quelle hingegen, die Lorscher Annalen, berichtet von einer Synode der fränkischen und römischen Bischöfe, bei der man dem Frankenherrscher die Kaiserwürde angetragen habe. Möglicherweise bezieht sich die Anmerkung Einhards nicht auf die Kaiserkrönung selbst, sondern auf deren Umstände und ihren protokollarischen Ablauf (vgl. [2]).

Grandes Chroniques de France, 14. Jahrhundert: die Kaiserkrönung Karls I.Karl jedenfalls zog im Sommer 800 nach Rom. Leo III. empfing ihn Ende November weit vor den Toren der Ewigen Stadt und legte am 23. Dezember einen Reinigungseid ab, der ihn von den Vorwürfen der Verschwörer aus Kreisen des Adels entlasten sollte. Inwieweit dieser freiwillig von ihm geleistet wurde, muss freilich dahingestellt bleiben.

Am Weihnachtstag des Jahres 800 wurde Karl von Papst Leo III. zum Kaiser gekrönt. Dieser Titel war seit der Absetzung von Romulus Augustulus im Jahr 476 in Westeuropa nicht mehr geführt worden. Karls voller Titel ab 800 lautete: Karolus serenissimus augustus a Deo coronatus magnus pacificus imperator Romanum gubernans imperium, qui et per misericordiam dei rex Francorum atque Langobardorum (frei übersetzt: "Karl, allergnädigster erhabener, von Gott gekrönter, großer Frieden stiftender Kaiser, das römische Reich regierend, von Gottes Gnaden auch König der Franken und Langobarden").

Als patronus et advocatus der Kirche hatte Karl I. nun endgültig den byzantinischen Kaiser abgelöst – wie zuvor schon den Langobarden Desiderius. Der Patriarch von Jerusalem schickte die Schlüssel des Heiligen Grabes an Karl I. als symbolische Anerkennung der Schutzherrschaft Karls I. über die Christenheit. Die Krönung zum Kaiser bedeutete somit eine Herausforderung für das byzantinische Kaisertum (Basileios), dem gegenüber Karl die Gleichberechtigung beanspruchte – wenn nicht mehr.

Karl verstand sich als Augustus Imperator Renovati Imperii Romani (Kaiser des erneuerten Römischen Reiches) und somit als direkter Nachfolger der römischen Kaiser. Sein fränkisches Reich war damit das Nachfolgereich des römischen Kaiserreiches, das er aufgrund seiner Legitimation durch die Kirche sanctus (heilig) nannte. Die Einheit von Kirche und Reich war nun ganz offiziell Staatsdoktrin. Als Beschützer des Papstes und des christlichen Glaubens war Karl der Große sehr darauf bedacht, dass in seinem Reich jeder das Pater Noster (Vaterunser) kannte. Zeitweilig standen Verunglimpfungen von Priestern oder des Christentums und seiner Symbole sogar unter Todesstrafe.

Nach 800: Die Ausweitung des Frankenreiches im Osten

Karolingische Reiterei (aus einer Handschrift des 9. Jahrhunderts)Als Ersatz für deportierte Sachsen ließ Karl I. im Nordosten des Reiches (Transalbingien) elbslawische Abodriten und auch Franken ansiedeln. Ab 804 kam es zu Auseinandersetzungen mit den Dänen, deren König Göttrik (auch: Godfred) nach Friesland bzw. Sachsen ausgriff und, unterstützt von den Wilzen, die Abodriten bekämpfte. Laut dem Eintrag der Fränkischen Reichsannalen zum Jahr 808 sollte Göttrik damals das Danewerk zwischen Treene und Schlei zum Schutz vor den Franken errichtet haben; tatsächlich war es jedoch bereits 737 aus unbekanntem Anlass erbaut worden. 810 plünderten die Dänen Friesland und die friesischen Inseln. Den Abodriten im Osten Holsteins gelang es jedoch, sich mit fränkischem Beistand von dänischer Oberhoheit freizuhalten; 811 kam es zu einem Friedensvertrag mit den Dänen. Allerdings blieb das Verhältnis von Franken und Abodriten ambivalent, wie die Umstände der Errichtung des Sachsenwalls (Limes Saxoniae) um 810 belegen.

Das Verhältnis zu den slawischen Stämmen östlich von Sachsen und Thüringen war ebenfalls zwiespältig: 789 kam es zu einem Feldzug der Franken gegen die Wilzen; nach der langwierigen Unterwerfung der Sachsen wurden auch die Sorben 806 von den Franken besiegt, nachdem deren Herzog Miliduoch getötet worden war. Zeitgenössischen Quellen zufolge versuchten sie in den darauf folgenden Jahrzehnten jedoch mehrfach abzufallen. Auch scheint es hier eine oder gar mehrere Grenzmarken gegeben zu haben; die Forschungslage hierzu ist jedoch unklar (siehe auch: Limes Sorabicus).

Böhmen geriet nach einer Kampagne in den Jahren 805 und 806 in fränkische Abhängigkeit und wurde tributpflichtig. In einer Urkunde von 817, in der die Provinzen und Völker des Frankenreiches aufgelistet werden, werden die Beheimi als eines der abhängigen Völker genannt. Auch sie wurden nach und nach offenbar erfolgreich christianisiert: 845 ließen sich 14 Herzöge aus Böhmen in Regensburg taufen; der bayrische Klerus war Hauptträger der Missionierung. Ab Mitte des 9. Jahrhunderts – Karls Enkel Ludwig der Deutsche war seit 843 König (s. Vertrag von Verdun) – wurde Böhmen immer mehr zum Zankapfel zwischen dem Ostfrankenreich und dem Großmährischen Reich des Sventopluk; ab 862 wurden auch die Ungarn zum Problem. Die Expansion der Franken in diesen Raum begründete – neben den Besiedlungswellen unter den Premysliden – den politisch wie kulturell nachhaltigen deutschen Einfluss im östlichen Mitteleuropa in den folgenden Jahrhunderten (s. Deutsche Ostsiedlung; Samo, insbesondere den Abschnitt Nach Samos Tod).

806 bis 812: Auseinandersetzung mit Byzanz

Nikephoros I., byzantinischer Kaiser ("Basileus") seit 802, empfand die Kaiserwürde Karls als Anmaßung und verweigerte deren Anerkennung. Eine 803 in Konstantinopel eingetroffene fränkische Gesandtschaft musste unverrichteter Dinge wieder heimreisen. Der Konflikt verschärfte sich noch, als Karl die von Byzanz beanspruchten Regionen Dalmatien und Venetien als seinem Machtbereich zugehörig behandelte. Nikephoros entsandte daraufhin 806 die oströmische Flotte und verhängte eine Seeblockade über Venedig. Karls Sohn Pippin, König von Italien, konnte in der Folge jedoch Venedig erobern, was Nikephoros offenbar verhandlungsbereiter machte. Eine Ende 810 in Italien eingetroffene byzantinische Gesandtschaft, die eigentlich den inzwischen verstorbenen König Pippin († 8. Juli 810) hatte erreichen wollen, wurde von Karl nach Aachen bestellt und 811 mit einem freundlichen, in der Kaiserfrage allerdings kompromisslosen Schreiben zurückgeschickt. Bei deren Rückkehr war jedoch der byzantinische Kaiser Nikephoros I. auf einem Bulgarenfeldzug gefallen († 26. Juli 811). Sein Schwiegersohn Michael I. Rangabe riss bald die Macht an sich. Anders als sein Vorgänger war er an einem dauerhaften Übereinkommen mit dem Westen interessiert. Daher entsandte Kaiser Michael I. nun seinerseits eine byzantinische Gesandtschaft nach Aachen, die dort 812 eintraf. In einer öffentlichen Zeremonie huldigte diese Karl dem Großen und nannte ihn "Kaiser". Damit war das Kaisertum Karls des Großen vom byzantinischen Reich diplomatisch anerkannt. Karl musste dafür allerdings wieder auf Venetien und Dalmatien verzichten.

Zudem sahen sich die byzantinischen Kaiser weiter als höher stehend an: Die Nachfolger Michaels I. fügten ihrem Titel "Kaiser" bald den Genitiv "der Römer" hinzu. Damit sollte ihr einzigartiger Rang als alleinige Nachfolger der römischen Kaiser dokumentiert werden. Die auf Karl den Großen folgenden westlichen Kaiser nannten sich dagegen zunächst nur "imperator augustus" (erhabener Kaiser). Der Titulatur "erhabener Kaiser der Römer" (Romanorum imperator augustus) begegnet man im Westen, d. h. im Heiligen Römischen Reich, erst seit Otto III. 996.

Karl I. als Reformer: Neuordnung des Reiches im Innern

Mit teilweise tiefgreifenden Reformen, die sein Sohn und Nachfolger Ludwig der Fromme meist weiter vorantrieb, ordnete Karl I. das Frankenreich auch im Innern neu. So schaffte er die Stammesherzogtümer ab, wobei die rechtliche Eigenständigkeit der Stämme allerdings gewahrt wurde. Karl ordnete überdies die Aufzeichnung der Stammesrechte an. In der Lex Frisionum etwa wurden den Friesen im Nordwesten und Norden des Reiches auf der Grundlage ihrer überkommenen Gesetze und Gepflogenheiten bedeutende Privilegien zugestanden. Sie wurden zu "Freien" und durften u.a. ihren Podestat selbst wählen. Auch die Einteilung Frieslands in drei klar definierte Bezirke wurde in der – hier beispielhaft angesprochenen – Lex Frisionum festgeschrieben.

Die Reichsverwaltung, die Karl I. zu vereinheitlichen trachtete, übertrug dieser im Wesentlichen seinem Hofklerus und einem neu geschaffenen Dienstadel. Die Hofkapelle war zentrales Verwaltungsorgan der weltlichen und geistlichen Ordnung im Reich. Die Ausführung der Verwaltung des Reiches lag in den Händen der Grafen. Diese fungierten im Rahmen der so genannten Grafschaftsverfassung als königliche Amtsträger bei der Ausübung der Regalien (Grafenbann) und waren in bestimmten Bereichen Stellvertreter des Königs (Mark-, Burg- und Pfalzgrafen). Besondere Bedeutung erlangten die Markgrafen: Sie waren die Regenten in den neu geschaffenen Grenzmarken und hatten in diesem Bereich weitreichende Sonderrechte, etwa als Militärbefehlshaber und Gerichtsherren. Die Landgrafen mussten Wehrpflichtige stellen.

Die Übertragung von Ämtern und Lehen an die führenden Adelsfamilien (die "Großen") sicherte deren Loyalität und begründete eine neue Reichsaristokratie. Die Grafschaftsverfassung wurde zum wichtigsten Instrument zur Wahrung der Einheit des Reiches, obgleich es an den unterschiedlichen Traditionen im Westen bzw. Osten des Reiches (römische Civitas versus germanischen Gau) seine Grenzen fand. In letzteren mögen auch die gänzlich verschiedenen Entwicklungen im Hinblick auf Staatsaufbau und Staatsrecht gründen: Sie mündeten im heutigen Frankreich als einer zentralistischen Präsidialrepublik einerseits, in dem die Regionen und Départements im Wesentlichen bloße Verwaltungseinheiten sind, und in der Verfasstheit Deutschlands andererseits – einer föderalistischen parlamentarischen Republik mit weitreichenden Hoheitsrechten der Bundesländer, die vielfach noch auf überkommene Stammesgrenzen zurückzuführen sind.

Mit den Kapitularien wurde zudem eine weitgehend einheitliche Gesetzgebung geschaffen, das Gerichtswesen und die Rechtsprechung reformiert (u.a. Einführung von Rügezeugen und von Schöffen). Die Regierbarkeit von Karls Riesenreich sollten vor allem so genannte Königsboten, die missi dominici, sichern. Diese wurden meist paarweise entsandt (ein weltlicher und ein geistlicher Vertreter), um Anweisungen und Erlasse des Königs und Kaisers durchzusetzen. Sie konnten in einem zugeteilten Bezirk ggf. auch die unmittelbare Reichsgewalt ausüben.

Eine herausragende Rolle bei der Neuordnung und Festigung im Innern spielte die Kirche, die Karl durch den massiven Ausbau der klerikalen Infrastruktur (u.a. wurden zahlreiche neue Bistümer gegründet, wobei sich Karl das Recht vorbehielt, die Bischöfe selbst zu ernennen), durch umfangreiche Schenkungen, die Bekräftigung des Zehntgebots und durch Reformen zum wahrscheinlich wichtigsten Band der Einheit seines Reiches machte. Die Benediktregel (ora et labora) wurde für die Klöster verbindlich wie auch für die Stiftsgeistlichkeit die vita communis (die zwingende "Gemeinschaft von Brüdern", vgl. [3]). Die von Pippin in die Wege geleitete Liturgiereform wurde weitergeführt.

Das ehedem gänzlich uneinheitliche Geldwesen wurde ebenfalls reformiert. Die Goldbindung des Geldes wurde aufgegeben, der Silberdenar als reichsweit geltende verbindliche Währung eingeführt. Ein Solidus bzw. Schilling waren 12 Denar; ein Pfund (libra), dessen Gewicht gegenüber dem antiken Maß erhöht wurde, entsprach 20 Solidi. In Karls Münzordnung wurde festgelegt, dass aus einem Pfund Silber 240 Pfennige (Denare) geprägt werden müssen. Der angelsächsische König Offa von Mercien übernahm zur gleichen Zeit diese Regelung, die in England in der Tat bis 1971 in Kraft war.

 

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