Die Legende von El'Kahas

von

Sarnokh


In den fernsten Winkeln von Yolacam wird noch immer eine alte Sage berichtet, die in verschiedenen Versionen existiert. Dies ist jene Version, die durch die Abgleichung und Zusammenfügung der verschiedenen Fragmente entstanden ist:

Vor vielen tausend Äonen war das Multiversum noch öd und leer, und nur eine einzige Welt existierte darin, die Welt von El'Kahas. Sie bestand aus zwei großen Landmassen östlich und westlich eines großen Ozeans, in dessen Mitte sich eine kleine Insel befand. Die verschiedenen Rassen, welche diese Insel bewohnten, hatten frühzeitig einen hohen Lebensstandard erreicht und erfreuten sich an den Errungenschaften von Magie und Technologie gleichermaßen. Diese Insel hieß Altair. Die Völker und Rassen der anderen beiden großen Landmassen lebten im Vergleich zu den Bewohnern von Altair in einer barbarischen Epoche. Sie wurden durch primitive und brutale Clan - Herren beherrscht und verbrachten all ihre Zeit mit Krieg und Zerstörung. Die Bewohner von Altair schauten mit Sorge und Mitgefühl auf ihre jüngeren Brüder auf dem West- und Ostland, und zuweilen versuchten sie einige die Wege der Magie und der Technik zu lehren, aber neue Kriege und Streitigkeiten machten alle Bemühungen wieder zunichte.

In der Hauptstadt von Altair lebten einst zwei Brüder mit Namen Ahrmazd und Ahriman. Obwohl sie einander die besten Freude waren, schienen ihre Interessen weit auseinander zu gehen. Während Ahrmazd ein nüchterner, ordentlicher und logischer Mensch war, dem die Technologie besonders am Herzen lag, war Ahriman voller Güte und Weisheit, welcher sich vor allem für die Pfade der Magie interessierte. Bereits in jungen Jahren zeigte sich ihr Talent. Während Ahrmazd eine große Anzahl nützlicher Erfindungen ersonnen hatte, bildete Ahriman seine magische Fähigkeiten aus, so daß er schon als Junge mit vielen Meistern in Konkurrenz treten konnte. Schließlich sammelten beide einen kleinen Kreis von Schülern um sich, die sie in ihren Küsten unterwiesen, und mit den Jahren wuchs ihr Ruhm und ihr Ansehen unter den Bewohnern von Altair. Von Anfang an hatten sich Ahriman und Ahrmazd über ihre unterschiedlichen Interessen in freundschaftlicher Weise gestritten, aber mit dem Ansehen wurden ihre Debatten immer hitziger. Ahrmazd strebte schließlich danach, alle Magie durch seine technologischen Erfindungen zu ersetzen. Zunächst hielt er Magie nur für weniger effizient, aber schließlich kam er zu der Überzeugung, daß die Magie wahren Fortschritt verhindere und er lehrte auch diese Ansicht seinen Schülern. Ahriman sah dem Treiben seines Bruders zunächst unentschlossen zu. Er dachte daran, daß alles vielleicht nur eine vorübergehende Laune von Ahrmazd sein könnte, bis er die Freundschaft nicht mehr aufrecht erhalten konnte, und seine eigenen Schüler und Anhänger vor einer allzu ungebremsten Ausbreitung der Technologie und Wissenschaft warnte. Während sich die magischen Kräfte nur dem Verständigen offenbarten, standen die Möglichkeiten der Technologie jedem zur Verfügung, und so auch die zur Zerstörung. Der Streit zwischen Ahriman und Ahrmazd wurde immer heftiger, bis der Stadtrat eingreifen mußte, was bis dahin noch nie geschehen war, und von den Brüdern eine friedliche Einigung verlangte. So kamen die Brüder vor ein Kollegium von 12 Weisen und jeder Trug seine Sache vor. Also sprach Ahrmazd:

"Seht die Rassen und Völker von El'Kahas, wie Barbarei und Krieg überall um uns wüten. Ignoranz und Unwissenheit konnten durch keine gut gemeinte Hilfe überwunden werden. Und selbst bei uns könnte das Leben so viel besser sein, wenn wir uns nicht mit den primitiven Früchten der Magie zufrieden geben würden. Laßt uns daher auf dem Weg der Technologie voranschreiten, und die Gesetze des Kosmos bloß legen, so daß wir für jeden Zweck eine Technik und eine Wissenschaft besitzen. Erst haben wir Waffen, welche so stark sind, daß wir den Frieden bei den Völkern erzwingen können, und dann werden wir sie selbst in der Wissenschaft unterweisen, damit das Wissen um alle Gesetze des Kosmos uns allen zur Verfügung stehen. So führen wir die Völker in eine lichte und erfüllte Zukunft mit allen Möglichkeiten der Beherrschung der Natur."

Ahriman war über diese Worte erzürnt: "So töricht und gefährlich ist deine Rede, daß ich nicht umhin kann, sie zu erwidern, anstatt meine Sache sogleich vorzutragen. Du willst das Verhüllte entschleiern, Licht in alle Winkel des Kosmos tragen. Ich frage dich aber, ob die Vorsehung nicht gut daran tat, manche Dinge im Dunkel zu lassen. Zudem schreckt es mich, den kriegerischen Barbaren Macht in die Hand zu geben, die uns alle vernichten kann. Wer vermag zu sagen, ob mit der Wissenschaft auch die Weisheit zu ihnen kommt? Werden sie nicht kriegerische Barbaren bleiben? Wehe dir, wenn du mit Waffen und Gewalt dein Licht bringen willst, denn die Harmonie des Kosmos wird durch deine Rechnung einen Strich machen."

Hin und her wogten ihre Worte und gut waren die Argumente beider Seiten. Schließlich beratschlagten die 12 Weisen, aber sie vermochten keine Entscheidung zu fällen. So verfügten sie statt dessen, daß Ahriman und Ahrmazd das Land Altair verlassen sollten, damit der Frieden wieder einkehren könnte. Also gingen die Brüder fort. Ahrmazd ging in den Westen und Ahriman zog auf das Ostland. So vergingen viele Jahre und beide Brüder scharten Gefolge und Anhänger um sich. Während Ahrmazd seine Gefolgsleute in Technologie und Wissenschaft unterwies, moderne Städte baute, Schulen errichtete und Fabriken, unterwies Ahriman die Völker des Ostens in den Künsten der Magie, ließ Gilden und Orden entstehen, weihte heilige Haine und Dolmen und lehrte die Erschaffung magischer Artefakte. Nach einer langen Zeit waren beide Brüder in den Kräften des Geistes gewachsen und so erlangten sie Macht und Stärke weit jenseits anderer Sterblicher. Aber ihre Magie und ihre Technologie stärkte sie immer mehr, bis beide sich schließlich auf ihre Weisen Unsterblichkeit verliehen. Aber das Unvermeidliche trat ein, als beide ihre Kontinente von Norden bis Süden kultiviert und zur Blüte ihrer Entfaltung geführt hatten. Da brach ein Krieg zwischen beiden Reichen aus, wer von ihnen Anspruch auf die alte Heimatinsel Altair erheben durfte. Viele Jahrzehnte wogte der Krieg hin und her. Ahrmazd sandte stählerne Vögel mit blitzenden Waffen, in der Tiefe des Ozeans tauchende Schiffe mit Feueratem, rollende Festungen und Krieger mit Waffen wie sie keine Welt seitdem mehr gesehen hat. Aber auch Ahriman war nicht untätig gewesen. Beschwörer riefen die schrecklichsten Monster aus den Niederhöllen, Golems, Drachen, Harpien, Elementale und namenlose Kreaturen. Heere von Magiern wirbelten die Elemente durcheinander. In der Mitte ihrer Streitmächte standen Ahriman und Ahrmazd. Hin und her wogte der Krieg. Panzer walzten die heiligen Haine nieder und Drachen versengten die Universitäten, Bomber legten die Gildenhäuser in Schutt und Asche, während flammende Meteore die Fabriken dem Erdboden gleich machten. Schließlich trafen Ahriman und Ahrmazd in ihrer Heimat mit ihren Heeren aufeinander. Neun Tage und neun Nächte wogte die Schlacht, während unzählige Tote auf beiden Seiten gezählt wurden. Schließlich trafen die Brüder selbst aufeinander und kämpften am letzten Tag von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Bereits am Mittag lag die ganze Insel Altair in Trümmern. Nichts war mehr übrig, keiner der Einwohner mehr am Leben. So führten beide ihre schrecklichsten Waffen gegeneinander ins Feld und richteten sie in einem gnadenlosen Todeskampf gegeneinander. Aber die Welt von El'Kahas hatte schon zu viel erduldet. In einer gewaltigen Erschütterung, wie sie niemals wieder eine Welt erfahren hat, wurde die Welt von El'Kahas in der Mitte hindurch gespalten. So waren beide Brüder voneinander getrennt und der Kampf fand ein Ende. Beide Welten lagen nun verwüstet zu den Füßen der Brüder Ahriman und Ahrmazd, aber von jenem Tage an nannten sie sich niemals wieder Brüder, sondern waren wie Fremde, die sich nie gekannt hatten. Jeder der beiden machte sich daran, seine Welt nach seinem Ideal neu zu errichten, und als nach tausend Zeitaltern jede Welt für sich ihre Blüte erreicht hatte, verließen Ahriman und Ahrmazd ihre Welten um nach dem jeweils anderen zu suchen. So durchquerten sie zahllose Welten des noch jungen Multiversums, und wohin Ahrmazd kam, da blühten Wissenschaft und Technologie, während die Welten von Ahriman Orte der Magie und der Spiritualität wurden. Um eine Unzahl von Welten führten die beiden in den kommenden Altern erbitterte Kriege, aber niemals wieder trafen sie in einer Welt zusammen, denn beide wußten, daß dies das Ende einer Welt bedeuten mochte, und keiner von beiden wünschte sich dies. So gingen die Welten des Multiversums entweder den technologischen Weg von Ahrmazd oder den der Magie von Ahriman, und in zahlreichen Welten wird der Kampf immer wieder aufs Neue ausgefochten, und dann wechselt ein Zeitalter der Magie eines der Technologie ab, oder umgekehrt. Manche sagen, daß Ahriman und Ahrmazd des Krieges müde wurden und die Welten schließlich einigen jüngeren Göttergeschlechtern überließen, welche mit dem Multiversum ihr eigenes Spiel treiben, während andere glauben, daß der Krieg nach wie vor andauert. Ob Magie und Technologie aber jemals wieder friedlich vereint sein werden, wie einst im verlorenen Reich von Altair, vermögen auch die Weisen nicht zu sagen.

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