538 Seiten (2000) Payback Press; ISBN: 0862418542Synopsis
Lee "Scratch" Perry is arguably the most influential force in Jamaican music, being the producer who took Bob Marley and the Wailers to international superstar status. Using interviews with friends, family and fellow artists, this book provides an examination of his life.
Darf man eine Biographie schreiben, in der keinerlei Versuch unternommen wird, zu erklären? David Katz tut's, obwohl er über das Phänomen eines Menschen schreibt, der von (fast) niemandem verstanden wird, dessen Werk aber als Meilenstein in der Geschichte der populären Musik angesehen wird: Bei der Lektüre eines mehr als 500seitigen Buches über Lee 'Scratch' Perry erwartet man eine Annäherung an die vielzitierte Ambivalenz von Genialität und Wahnsinn, an die Persönlichkeit.David Katz verzichtet auf jegliche Interpretation, und das, obwohl oder weil (?) selbstverständlich deutlich wird, dass das Buch von einem Verehrer Perry's geschrieben wurde. Da der Autor sich gar vom Subjekt der Biographie zum Verfassen berufen fühlte, "gar berufen wurde", ist der Gegensatz zwischen Exzentrik des Künstlers und buchhalterischer Gründlichkeit des Auors noch überraschender.
Mit unerhörter Akribie wird das Leben von Perry von seiner Geburt in Kendal bis ca. 1998 in der Schweiz nachgezeichnet. Zahlreiche Weggefährten werden vorgestellt und deren Lebensdaten zusammengefasst, ihre Ansichten und Bemerkungen zu Perry, vorgestellt. Trotzdem: Perry's Wirken bleibt fremd, kann nicht nachvollzogen werden, bleibt unverstanden, offensichtlich auch vom Autor. Der scheint zwar auch zu merken, dass der Upsetter seine kreative Höhe in den 70er Jahren hatte (und deshalb nur hilflos hofft, dass die Platten der 90er Jahre irgendwann ihre Relevanz für die Musikentwicklung offenbaren mögen), das in seiner Ergebenheit als Hofschreiber aber nicht anerkennen will. Erkennen tut er's wohl doch.
Gleichwohl: wer von Lee Perry gehört hat, wer seine großen Werke mit den Wailers ("Mr. Brown") oder aus der Zeit der Black Ark nur durchs Hören lieben gelernt hat, der möchte mehr erfahren. Und David Katz liefert eine Grundlage, die besser nicht sein könnte, er hat sozusagen die Datenbanken, nämlich gleich drei sich ergänzende Materialsammlungen in dieses Buch eingeschrieben:
> eine Chronologie der Ereignisse im Leben von Rainford Hugh Perry
> Perry's Musikaufnahmen, und -bearbeitungen und deren Veröffentlichungen
> die Weggefährten und Zeitgenossen von Lee Perry.Alle drei Datensammlungen sind mit ungeheurer Gründlichkeit recherchiert, die Schallplatteneinspielungen in einer Vollständigkeit dokumentiert, die wahrscheinlich nicht für möglich gehalten wurde, alle Angaben auf ihre gegenseitige Kohärenz immer wieder geprüft - im Zweifelsfall werden widersprüchliche Aussagen nebeneinander gestellt -. Der Leser bekommt regelrechte Visionen der Pinwände und Zettelkästen, des vollgestopften Computers, und der mehr als zehn Jahre währenden Arbeit, um sowenig weiße Flecken zu lassen wie nur eben möglich.
Man freut sich, dass jemand all diese Informationen zusammengetragen hat, bevor sie von der Zeit unwiederbringlich verschüttet worden wären: sie sind wertvolles Material für die Schreiber der Musikgeschichte Jamaikas wie für die Archivare von Tonträgern jamaikanischer Musik. Der normalsterbliche Reggeainteressent bekommt in einem Buch auch noch ein schönes Personenlexikon. Und alles wird über einen umfassenden Index erschlossen. Deshalb ist wohl das große Lob zu verstehen, das für das Buch zu verzeichnen gewesen ist.
Aber zurück zur Eingangsfrage: Darf man dieses Buch eine Biographie nennen?
Auf das Buch, das uns einführt in den Kosmos von Scratch, das uns hilft zu verstehen, weshalb die Black Ark in Flammen aufging und Scratch's kreative Zeit beendete, das den Mut hat, zu interpretieren und über Lee Perry's Wahrnehmung und Seele nachzudenken, werden wir wohl vergeblich warten.
Auch auf ein Buch, das die wirtschaftlichen Hintergründe des jamaikanischen Musikgeschäfts darstellt, warten wir hoffentlich nicht ewig. Denn Perry ist offensichtlich ein Musterfall, der ausgenutzt wurde und dies zutiefst beklagte, es offensichtlich nie überwinden konnte. Er scheint aber auch jemand zu sein, der ohne jede Scham das gleiche System auf andere anwandte, ohne dies - folgt man seinem Biographen - jemals zu hinterfragen.
Es ist schön, eine so umfassende Quelle über die Entwicklung der jamaikanischen Musikschaffens, über Meisterwerke, über das Musikbusiness und über das Schicksal von vielen Menschen in Händen zu halten. Das Lesen lohnt sich.
P.S.:
Fizzé du kamst zu Wort und deine Arbeit wird sehr freundlich gewürdigt. Schön. Aber du hast es dir wohl mit Lee Perry verdorben, weil du Ansprüche hinsichtlich der Erzielung eines Ergebnisses gestellt habest. Es kann nicht so schlimm sein.
Rico, du bist knapp behandelt und offensichtlich hast du dich 1976 (?) zu sehr über Pauline Morrison geärgert, als dass du hättest ausführlicher gewürdigt werden können.- Mr. Braunov/Rico's Music