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Ramona Pop
Sylvia Pilling
Christian Jansen
Carsten Schäfer

Mitglieder im GAJB-NRW-Landesvorstand

Aufruf an die Grünen und die Bundesregierung:

Die Chance wahrnehmen - Luftangriffe stoppen und Verhandlungen aufnehmen!

Nach fünf Kriegswochen steckt die NATO immer noch in ihrer selbstverursachten militärischen Sackgasse. Jugoslawien und die NATO stellen sich gegenseitig unannehmbare Bedingungen, die Kriegsspirale und die militärische Logik dreht sich weiter. Längst werden die Vorbereitungen für einen Bodenkrieg getroffen. Wir glauben, daß es der Würde und dem Anspruch einer demokratischen Staatengemeinschaft entspricht, in einem solchen Fall den ersten Schritt zu gehen und das Dilemma der militärischen Logik aufzulösen. Wir fordern deswegen den sofortigen Stopp der NATO-Angriffe auf Jugoslawien, denn nur so gibt es eine ernsthafte Chance auf Frieden und eine ernsthafte Chance eine Ausweitung des Krieges zu verhindern. Wir rufen Bündnis 90/Die Grünen auf, ihrer friedenspolitischen Verantwortung gerecht zu werden und die Initiative für eine Waffenruhe zu ergreifen. Das Gewicht der grünen Regierungsbeteiligung muß jetzt endlich zur Beendigung des Krieges und nicht zu seiner Legitimierung benutzt werden.

Wir rufen alle Delegierten der BDK in Hagen auf, einen eindeutigen Beschluß gegen den Krieg zu fassen.

Die Bomben haben keines der angestrebten Ziele erreicht. Weder wurde das Abkommen von Rambouilliet von Jugoslawien unterschrieben, noch konnte der humanitären Katastrophe im Kosovo Einhalt geboten werden. Im Gegenteil: Grenzzwischenfälle mit Albanien und Mazedonien lassen befürchten, daß sich der Krieg bereits auszuweiten droht, und das dies von Belgrad auch gewollt und wahrscheinlich von Anfang an geplant war. Offenbar versucht der jugoslawische Diktator, Rußland und die NATO auf dem Balkan dauerhaft zu Gegnern zu machen - und sich damit Unterstützung von außen zu sichern.
Inzwischen leiden nicht nur die Albaner unter serbischen Terror, sondern auch die serbischen Zivilisten unter den NATO-Bomben. Hier entsteht eine unkalkulierbare Gewaltspirale.

In diesem Moment muß die Politik wieder das Ruder übernehmen und sich aus der militärischen Logik der Angriffe befreien! Gerade die Grünen und müssen jetzt den Anstoß für eine wirkliche diplomatische Lösung geben, bevor die militärische Logik ein Eingreifen von Bodentruppen für unausweichlich erachtet. Der erste Schritt dazu ist längst gemacht, Großbrittanien hat dazu die Vorreiterrolle übernommen, und im Pentagon wird der Marsch auf Belgrad geplant. Wir befürchten, daß Milosevic eine Eskalation heraufprovozieren will - eine Eskalation, die es ihm erlaubt, die westlichen Staaten und Rußland zu spalten. Eine Eskalation ist mit Bodentruppen unausweichlich, insbesondere würden Mazedonien und Albanien, eventuell sogar Ungarn als mögliche Aufmarschländer in den Konflikt hineingezogen. Auf die russische Reaktion darf man gespannt sein, zur Zeit wird ein militärisch garantiertes Bündnis von Jugoslawien, Rußland und Weißrußland geschlossen - die Rückversicherung für einen russischen und weißrussischen Kriegseintritt im Falle von Bodentruppen und damit der tatsächliche Beginn des dritten Weltkriegs auf dem Balkan. Insbesondere ist die Einbindung Weißrußlands gefährlich: Der dortige Diktator Lukaschenko ist nicht unbedingt als rational handelnder Mensch bekannt.
Wir fordern deswegen, daß die Luftangriffe der NATO sofort gestoppt werden, damit Raum für ernsthafte diplomatische Verhandlungen geschaffen werden kann. Insbesondere würde dies den Vermittlungsbemühungen von Viktor Tschernomydrin eine viel größere Chance geben.
Wir sind außerdem der Überzeugung, daß es ein vollkommen neues Abkommen geben muß, also nicht einfach die Rambouilliet-Texte wieder aus der Schublade geholt werden können. Besonders gilt dies für die Zusatzvereinbarungen zur Implementierung.
Wir verurteilen ganz besonders die Angriffe der NATO auf zivile Ziele, insbesondere den Angriff auf das serbische Fernsehen. Dies stellt einen Bruch des ungeschriebenen Gesetzes dar, Journalisten nicht anzugreifen, auch wenn sie die Meinung der Gegenseite vertreten.Genauso sind wir entsetzt über den Einsatz von Waffen, die aus zum Teil aus Uran bestehen und das Kriegsgebiet auf Dauer verseuchen.

Bei Neuverhandlungen muß darauf geachtet werden, daß es innerhalb des Abkommens keine Passagen gibt, die es Belgrad erlauben, erneut die Konfrontation mit dem Westen zu suchen. Wir schlagen deswegen eine UN-Friedenstruppe unter der Führung Rußlands vor, die sich aus Soldaten aus in diesem Konflikt neutralen Ländern zusammensetzt. Hier böten sich Einheiten aus dem außereuropäischen Raum, z.B. aus Asien, Afrika oder Lateinamerika an. Diese Truppen sollen den eindeutigen Auftrag erhalten, jegliche Kampfhandlungen im Kosovo, sowohl von serbischer wie von albanischer Seite, zu unterbinden und die Sicherheit der Zivilbevölkerung und die Rückkehr der Flüchtlinge zu garantieren. Die NATO kann diese Truppen nun nicht mehr stellen, denn sie wird von Serbien als Agressor verstanden. Solange die Forderung nach einer NATO-Truppe in Jugoslawien bestehen bleibt, wird es keinen Frieden geben.

Danach müssen unter internationaler Vermittlung Verhandlungen über dauerhafte Zukunft des Kosovo begonnen werden, an der alle Parteien des Konflikts beteiligt sind. Der Vorsitz dieser Konferenz darf nicht von der NATO geführt werden, da sie inzwischen Kriegspartei ist, sondern muß aus einer auch für Milosevic nicht ablehnbaren Person bestehen. Eine Möglichkeit wäre hier Nelson Mandela oder eine andere Person mit international ähnlich großem Renommee. Federführend bei einer solchen Konferenz muß die OSZE sein, um Rußland und die Anrainerstaaten auf eine gerechte Weise mit einzubinden.
Gleichzeitig muß innerhalb der OSZE ein Plan zur dauerhaften Befriedung des Balkan entwickelt werden. Hierzu müssen wirtschaftliche Aufbauhilfen, Kultur- und Austauschprogramme und eine Sicherheitsarchitektur für die gesamte Region unter Einschluß der Nachbarstaaten gehören. Vorbild könnten die Anfänge der Europäischen Union sein. Wichtig wäre aber auch das Angebot an alle Staaten, im Falle der friedlichen Entwicklung sehr schnell (d.h. bis 2010) Mitglieder der EU werden zu können.
Insbesondere müssen sich die NATO-Staaten für eine Stabilisierung von Mazedonien und Albanien einsetzen. Dies wird nur mit einer massiven Wirtschaftshilfe möglich sein. Aber: Der Krieg kostet 500 Mio. US-Dollar am Tag, schon der Betrag, der für eine Kriegswoche ausgegeben würde, könnte im Rahmen eines Marschallplans der albanischen oder mazedonischen Ökonomie sehr gut auf die Beine helfen. Wirtschaftliche Stabilität aber ist die entscheidende Voraussetzung für politische Stabilität.
In Deutschland müssen jetzt schon die Lehren aus dem Krieg gegen Jugoslawien gezogen werden: Die Bundesregierung muß jetzt sehr schnell eine Art außenpolitisches Frühwarnzentrum einrichten, in dem Konflikte und mögliche Bürgerkriege erkannt werden können, bevor es zu einer Eskalation wie im Kosovo oder in Bosnien-Herzegowina kommen kann. Die Bundesregierung muß außerdem einen zivilen Konfliktlösungsdienst einrichten, der sie in die Lage versetzt, schon im Frühstadium eines Konfliktes vermittelnd eingreifen zu können.
Die Rolle der NATO muß nach den Erfahrungen des Jugoslawienkrieges wieder auf das reduziert werden, was sie ursprünglich war: Ein rein defensiv agierendes Verteidigungsbündnis. Langfristig muß die NATO von einer europäischen Sicherheitsordnung unter Einschluß Rußlands abgelöst werden, diese Sicherheitsordnung sollte auf Basis der OSZE entwickelt werden. Dieses Ziel gilt es gerade nach der Verabschiedung der neuen NATO-Strategie, für die der Kosovo der Testfall war, beizubehalten.
Insbesondere sollten in dieser Sicherheitsordnung zivile Konfliktlösungsmechanismen angewendet werden und sie sollte auf die Vermeidung von Gewalt ausgelegt sein.
Daneben muß die angestrebte gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU eine solche zivile Konfliktlösung im Vorfeld als existentielle Grundlage bekommen. Auch eine in außenpolitischen Fragen geeinte Europäische Union darf nicht als Militärmacht daherkommen, sondern muß auf zivile Lösungen setzen.

2.5.1999

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