Vor der Geburt unseres Propheten Muhammad (s) lebten in Mekka zwei Freundinnen, Amîna und Khadîja. Mekka lag an der Kreuzung wichtiger Handelsstraßen, die in der damaligen Zeit Ägypten, Palästina, Kleinasien, Persien, das Zweistromland, Indien und Afrika miteinander verbanden. Auf dem großen Markt, der jedes Jahr abgehalten wurde, gab es Waren aus aller Welt. In Mekka befand sich auch das uralte Haus Allahs, die Ka'ba, die Ibrahim und Ismail dereinst gebaut hatten, damit die Menschen dort den Einen Gott anbeten konnten. Sie war das älteste Gebetshaus der Welt, und die Araber waren sehr stolz darauf. Aber Ibrahims reinen Glauben hatten sie inzwischen vergessen und in der Ka'ba eine ganze Reihe Götzen aufgestellt. Eine bunte Menge von Menschen besuchte alljährlich Mekka, um ihre Waren zu verkaufen und die Pilgerfahrt zu Allahs Haus zu vollziehen. Da gab es aber auch Dichter, die ihre Werke vortrugen und einen regelrechten Wettkampf daraus machten, reisende Märchenerzähler, die darüber hinaus Nachrichten aus fernen Ländern brachten, und Schausteller, die ihre Künste zeigten. Das Leben in der Stadt Mekka war interessant und abwechslungsreich.
Amîna und Khadîja stammten aus wohlhabenden Kaufmannsfamilien. Sie hatten das Glück, daß ihre Eltern sie sehr liebten. Das war keineswegs selbstverständlich. Die Araber der damaligen Zeit wünschten sich Söhne, von denen sie Macht und Ansehen erhofften, und verachteten Frauen. Gar mancher Vater schämte oder ärgerte sich, wenn ihm ein Mädchen geboren wurde, und es kam dann oft vor, daß jemand seine kleine Tochter lebendig in der Wüste begrub, um sie loszuwerden. In einer solchen Gesellschaft wuchsen die beiden Freundinnen heran und machten sich Gedanken über alles, was sie erlebten und beobachteten.
Nicht alle Leute in Mekka waren Götzendiener. Da gab es auch Juden aus Palästina, dem Jemen und der Stadt Yathrib, die in uralten Schriften lasen und streng an ihren Gesetzen und Sitten festhielten. Da gab es Christen, die dem Propheten Isa (s) folgten und wie er ein einfaches, enthaltsames Leben führten. Zu ihnen gehörte auch Khadîjas Vetter Waraqa bin Nawfal, der zudem die heiligen Schriften der Christen studierte und vieles von Allah, den Propheten, den Engeln und dem Tag der Auferstehung erzählen konnte. Und schließlich gab es Menschen, die weder Juden noch Christen waren, sondern auf verschiedene Weise versuchten, selbst einen Weg zu dem Einen Gott zu finden und Ihm allein zu dienen wie einst Ibrahim. Diese Menschen nannte man Hanifen. Allen gemeinsam aber war die Erwartung, daß Allah bald einen Gesandten schicken würde, der alle Zweifel und Uneinigkeiten beseitigen und den Menschen einen neuen Weg für die Zukunft weisen würde.
Wenn Amîna und Khadîja einander ihre Gedanken mitteilten, sprachen sie oft davon, daß der erwartete Gesandte vielleicht noch zu ihren Lebzeiten kommen würde. Wie würde sich dann das Leben verändern! Sicher würde er wie Isa die Menschen ermahnen, einander zu lieben und aufrichtig zu sein, oder auch wie Musa ein strenges Gesetz verkünden, das den Menschen verbietet, ihre Kinder zu töten und einander zu berauben und zu betrügen. Auf jeden Fall würde er wie Ibrahim zum Glauben an den Einen Gott aufrufen und einen Weg lehren, Seine Freundschaft zu erlangen. Und wenn die Leute von Mekka nicht auf ihn hören wollten? Es schauderte die beiden Mädchen bei der Vorstellung, daß Allah dann das Volk bestrafen würde, wie Er es mit früheren Völkern getan hatte, die ungerecht waren und die Propheten nicht nur abgewiesen, sondern auch verfolgt und manchmal sogar getötet hatten. Aber sie wußten auch, daß Allah dereinst Nuh und die gläubigen Menschen und sogar die Tiere vor dem Untergang bewahrt hatte. So würde Er auch jetzt den Gläubigen beistehen.
Einmal erzählte Amîna ihrer Freundin Khadîja einen merkwürdigen Traum: sie hatte des nachts geträumt, sie habe ein Kind bekommen, das der zukünftige Gesandte Allahs werden sollte. Aber auch Khadîja hatte einen ebenso merkwürdigen Traum gehabt: darin hatte sie Allahs Gesandten geheiratet und ihm tatkräftig zur Seite gestanden. Die beiden Mädchen waren verwirrt. Sie hatten ganz deutlich das Gefühl, daß dies keine gewöhnlichen Träume gewesen waren. Aber konnten wohl beide wahr sein, wo Amîna und Khadîja doch gleichaltrig waren? Khadîja erinnerte sich, wie ihre Eltern vorgeschlagen hatten, sie später einmal mit Waraqa bin Nawfal zu verheiraten. Er war ein gottesfürchtiger Mensch. Ob er wohl eines Tages Allahs Gesandter werden würde? Aber dann hatte Waraqa gelobt, niemals zu heiraten, sondern wie ein Mönch zu leben. Das konnte es dann wohl nicht sein. Ach, vielleicht war ja alles doch nur ein Traum!
Als die beiden Mädchen herangewachsen waren, suchten ihre Eltern für sie jeweils einen Bräutigam, wie es der Sitte entsprach. Ein neuer, spannender Lebensabschnitt begann. Amîna heiratete Abdullah, den Sohn des angesehenen Abdul Muttalib. Auch Khadîja heiratete einen Kaufmann namens Abu Hala. Aber Amînas Glück dauerte nicht lange. Abdullah starb auf einer Reise und wurde in Yathrib begraben. Mit Liebe und Verständnis versuchte Abdul Muttalib, seine junge Schwiegertochter zu trösten. Er wußte von ihren Gedanken und Gefühlen, und einmal sah er sogar im Traum, daß das Kind, das sie erwartete, ein ganz besonderer Mensch werden sollte. Als ihr Sohn dann geboren wurde, gab Abdul Muttalib ihm den Namen Muhammad und richtete selbst das Fest zu seiner Geburt mit so viel Liebe aus, daß niemand daran erinnert wurde, daß der Junge ohne Vater aufwachsen mußte.
Damals war es in Mekka üblich, kleine Kinder nicht in der engen staubigen Stadt zu behalten, sondern für ein paar Jahre zu einer Pflegemutter zu geben, die einem Beduinenstamm angehörte und in der Wüste lebte. Wenn es auch für die Mutter nicht leicht war, sich von ihrem Neugeborenen zu trennen, so war es doch für ein Kind besser, in frischer Luft aufzuwachsen, durch das einfache Leben gesund und kräftig zu werden und die reine arabische Sprache zu lernen, wie die Beduinen sie noch sprachen. Als wieder einmal Beduinen nach Mekka kamen, um Schafe und Kamele zu verkaufen und sich mit Lebensmittelvorräten und Hausgerät zu versehen, fand Amîna für ihren Sohn eine Pflegemutter namens Halîma. Manchmal war Amîna sicher in den nächsten Jahren traurig: zuerst hatte sie ihren Mann verloren, und nun war auch ihr einziges Kind weit fort. Aber dann dachte sie an die Zukunft und an die Freude, die sie an einem gesunden Sohn haben würde. Sie war da auch nicht ganz allein, denn sie lebte bei ihren Schwiegereltern, und es fehlte ihr an nichts. Ab und zu kam Halîma sie besuchen, brachte ihr den kleinen Muhammad mit und erzählte voller Ehrfurcht, was für merkwürdige Erlebnisse sie mit ihm gehabt hatte. Die Schafe und Ziegen ihres Stammes hatten sich auf wundersame Weise vermehrt, so daß sie alle keine Sorgen mehr zu haben brauchten. Aber einmal hatte Muhammad ihr auch erzählt, daß ein Engel zu ihm gekommen sei, während er draußen spielte, und sein Herz gewaschen habe. Als Amîna dies hörte, klopfte ihr das Herz, und tief in ihrem Ihneren regte sich die Ahnung, daß der Traum, den sie vor langer Zeit gehabt hatte, vielleicht doch wahr sein konnte. Überglücklich schloß sie ihren Sohn in die Arme, als er nach vier Jahren endgültig zu ihr heimkehrte.
Amîna erzählte Muhammad oft von seinem Vater. Als er sechs Jahre alt war, reiste sie mit ihm und einer alten Dienerin nach Yathrib, um die Verwandten dort zu besuchen und ihrem Sohn Abdullahs Grab zu zeigen. Aber auf dem Rückweg starb sie selbst ganz plötzlich, und Muhammad kehrte als Waisenkind zu seinem Großvater Abdul Muttalib zurück.
Khadîja war eine ungewöhnliche junge Frau. Oft hatte sie als Mädchen gelauscht, wenn ihr Vater mit anderen Kaufleuten oder seinen heranwachsenden Söhnen geschäftliche Dinge besprach, und sich alles genau eingeprägt. Sie hatte sogar manchmal ihren Vater gefragt, wenn sie etwas nicht verstanden hatte, und er hatte sich über ihr Interesse und ihr Wissen gewundert und ihr alles erklärt. Jetzt, wo sie erwachsen und verheiratet war, konnte sie ihren Mann Abu Hala mit manchem guten Rat überraschen. Zwei Söhne wurden ihr in den folgenden Jahren geboren. Aber dann starb Abu Hala.
Einige Zeit später heiratete Khadîja ein zweitesmal. Es war nicht üblich, daß eine junge Frau lange unverheiratet blieb, und sie hatte in 'Atîq einen Mann gefunden, der ein großes Herz hatte wie sie selbst und viele ihrer Interessen teilte. Khadîja machte es sich zur Gewohnheit, ihm bei seinen Geschäften mit Rat und Tat zur Seite zu stehen, auch als bald nach ihrer Hochzeit eine kleine Tochter zur Welt kam. In ihrer Freizeit ging sie oft zur Ka'ba, um zu beten. Die Jahre vergingen mit Arbeit, Freigebigkeit und einem glücklichen Familienleben.
Eines Tages brach in Mekka die Pest aus. Viele Menschen wurden krank. Zwar starben die meisten von ihnen, aber es gab auch damals schon Medizin, mit deren Hilfe einige die furchtbare Krankheit überlebten und wieder gesund wurden. Khadîja und 'Atîq stifteten ein Krankenhaus, bezahlten Ärzte und Medikamente, vor allem für die Armen, und halfen selbst bei der Behandlung und Pflege der Kranken. Allmählich ging die Epidemie zu Ende. Aber zuletzt wurde 'Atîq selbst krank und starb und hinterließ seine Frau mit drei heranwachsenden Kindern.
Inzwischen hatte Khadîja genug Erfahrung gesammelt, um die Geschäfte einstweilen allein weiterführen zu können, bis die Kinder erwachsen würden. Zunächst nahmen die Leute sie zwar nicht ganz ernst, denn sie konnten sich eine Frau als Kaufmann nicht so recht vorstellen. Aber allmählich gewöhnten sie sich daran. Khadîja arbeitete erfolgreich mit dem Kapital, das ihr Mann ihr hinterlassen hatte, und setzte sich gegen alle durch, die sich störend einmischen wollten. Auch die Heiratsanträge der Männer, die sie ihres Geldes wegen heiraten wollten, wies sie ab. Ein einziges Problem blieb: eine Frau konnte damals nicht wie ein Mann ins Ausland reisen und dort Handel treiben. Sie konnte höchstens einen Vertreter damit beauftragen.
Dies tat Khadîja dann auch. Jedes Jahr, wenn die große Karawane nach Syrien aufbrach, stellte sie einen jungen Mann ein, der in ihrem Auftrag reiste und Geschäfte abschloß. Nicht immer konnte sie mit dem Ergebnis zufrieden sein, denn die jungen Kaufleute waren zwar geschickt und hatten gute Kenntnisse, aber mit der Ehrlichkeit nahmen sie es meist nicht so genau.
Eines Tages war unter den Bewerbern auch Amînas Sohn Muhammad. Nach dem Tode seiner Mutter hatte er zunächst bei seinem Großvater Abdul Muttalib gelebt und ihm überall hin folgen dürfen, sogar in Ratsversammlungen. Vieles hatte er dabei lernen können. Aber schon nach zwei Jahren war der Großvater gestorben, und sein Onkel Abu Tâlib hatte ihn bei sich aufgenommen. Abu Tâlib liebte seinen Neffen sehr, aber er hatte eine große Familie und viele Sorgen. Jedes Familienmitglied mußte mithelfen, den Lebensunterhalt zu verdienen. Als Junge hatte Muhammad seinen Beitrag geleistet, indem er Schafe hütete. Später hatte sein Onkel dafür gesorgt, daß er alles lernte, was für den Beruf eines Kaufmannes notwendig war. Einmal hatte er ihn sogar auf eine Handelsreise nach Syrien mitnehmen können. Khadîjas Angebot kam Muhammad gerade recht. Aber - würde sie ihn nehmen?
Khadîja hatte schon von Muhammad gehört. In der Tat war er in Mekka bekannt, weil sich jeder auf ihn verlassen konnte. Das hatte ihm den Beinamen Al-Amîn (der Vertrauenswürdige) eingebracht. Viele Leute ließen ihre Wertgegenstände in seiner Obhut, wenn sie auf Reisen gingen. Einmal hatte Muhammad ein Kamel verkauft, aber als der Käufer es wegführen wollte, hatte er bemerkt, daß es lahmte. Sofort hatte er den Käufer zurückgerufen und ihm sein Geld wiedergegeben. Dies alles hatte Khadîja gehört. Aber - würde er seiner Aufgabe als Handelsvertreter gewachsen sein?
Khadîja beschloß, es mit ihm zu versuchen. Sie übergab ihm ihre Waren zusammen mit den notwendigen Anweisungen und schickte einen Sklaven namens Maisara mit, der Muhammad bei schweren Arbeiten helfen und ihr hinterher Bericht erstatten sollte. Gespannt wartete sie auf die Rückkehr.
Um so zufriedener war Khadîja, als Muhammad später mit ihr über diese Reise abrechnete. Wie es damals üblich war, erhielt er die Hälfte des Gewinns als Lohn. Er war ehrlich und korrekt gewesen - so hatte Maisara erzählt - und hatte die Menschen freundlich und rücksichtsvoll behandelt, sogar ihn, den Sklaven. Auch hatte er seine Freizeit nicht im Weinhaus verbracht, wie es viele junge Kaufleute taten, sondern sich ausgeruht und nachgedacht. Dabei war er aber nicht weltfremd. Das zeigte jedenfalls auch der gute Gewinn, den er mit nach Hause gebracht hatte. Khadîja war beeindruckt.
In den nun folgenden Tagen ging Muhammad Khadîja nicht aus dem Sinn. Sie nahm sich vor, ihn im nächsten Jahr wieder nach Syrien zu schicken. Aber das war nicht alles. Aus den Gesprächen mit ihm hatte sie auch erfahren, was für Gedanken er sich über Glauben und Gerechtigkeit machte - beinahe wie ihre eigenen Gedanken. Sie hatte auch erfahren, daß er einer Gruppe junger Männer namens Hilf-ul-Fudul angehörte, die sich die Aufgabe gestellt hatte, sich für die Rechte der Armen in Mekka einzusetzen. Ein junger Mann ganz nach ihrem Herzen. Wie würde es sein, wenn sie ihr Leben mit ihm teilen könnte? Aber er war noch jung - würde er nicht lieber eine jüngere Frau heiraten wollen?
Khadîja beauftragte eine alte Frau herauszufinden, wie Muhammad darüber dachte. Es stellte sich jedoch heraus, daß er überhaupt noch nicht ans Heiraten gedacht hatte. Es war nämlich sehr teuer, einen neuen Hausstand zu gründen, und Muhammad hatte das Geld, das er verdiente, immer seinem Onkel abgegeben. Khadîja gab ihm darauf zu verstehen, daß es am Geld nicht liegen sollte, und als er einwilligte, mußte sie nur noch ihren Onkel 'Umar bin Asad überreden, den Ehevertrag für sie abzuschließen, denn das durften in der damaligen Zeit Frauen nicht selbst tun.
Selten hat man in Mekka ein glücklicheres Paar gesehen als Khadîja und Muhammad. Gemeinsam kümmerten sie sich um ihre Geschäfte. Sie kamen überein, die Sklavinnen und Sklaven in ihrem Haushalt freizulassen, und Muhammad nahm einen von ihnen, Zaid bin Hâritha, als Sohn an. Im Laufe der Zeit wurden ihnen vier Töchter und drei Söhne geboren. Ihr Glück wurde überschattet, als die drei Jungen starben, aber sie hatten viel Freude an den Mädchen. Sie nahmen auch Ali, den jüngsten Sohn von Abu Tâlib, in ihre Familie auf. Die Mädchen wuchsen heran, und später heiratete Zeinab Abul Âs, einen Sohn von Khadîjas Schwester, und Ruqayya und Umm Kulthûm heirateten jeweils einen Sohn von Abu Lahab. Nur Fâtima, die Jüngste, blieb noch bei den Eltern.
Muhammad war immer zurückhaltend und nachdenklich gewesen. Im Laufe der Zeit spürte Khadîja, daß er immer mehr das Bedürfnis hatte, sich zurückzuziehen, nachzudenken und zu beten. Damals hatte Muhammad auch oft Träume, die ihn sehr beschäftigten, denn viel Wahres wurde darin gezeigt. Wie gut konnte sie ihn verstehen! Viel Glück und Leid hatte sie selbst in ihrem Leben erfahren, und wieviel Ungerechtes und Sinnloses hatte sie mit ansehen müssen! Da war die endlos erscheinende Kluft zwischen Arm und Reich; wieviel Mühe kostete es doch, wenigstens die größte Not zu lindern! Wie ein Tropfen auf den heißen Stein schien jede Hilfeleistung, denn die Reichen und Mächtigen hatten nur ihren eigenen Vorteil im Sinn. Sogar die Religion wurde dazu mißbraucht.
Jedes Jahr im Monat Ramadan verließ Muhammad mit Khadîja und den Kindern die Stadt und schlug in der Nähe des Berges Hira für einige Wochen sein Lager auf. Er betete und fastete und bewirtete die Armen, die zu ihm kamen. Manchmal nahm er auch ein paar Datteln, ein Stück Brot und etwas Wasser mit und ging ganz allein fort in die Wüste. Einmal blieb er so lange fort, daß Khadîja anfing, sich Sorgen zu machen. Sie schickte Diener aus, um ihn zu suchen, aber sie konnten ihn nirgends finden. Erst nach ein paar Tagen kam er plötzlich wieder. Er war völlig erschüttert und rief: "Hüllt mich ein! Hüllt mich ein!" Khadîja holte ein paar warme Decken, hüllte ihn damit ein und setzte sich zu ihm. Ob er wohl krank geworden war? Sie strich ihm über die Stirn. Aber Fieber hatte er jedenfalls nicht. Als er ruhiger geworden war, fragte sie: "Wo bist du denn gewesen? Ich habe mir schon Sorgen um dich gemacht und nach dir suchen lassen!" Da erzählte er ihr, was er erlebt hatte. Als er nämlich oben auf dem Berg in einer Höhle in sein Gebet versunken war, war ihm ein Engel erschienen und hatte ihm eine himmlische Schrift gezeigt und ihn aufgefordert: "Lies!" Vergeblich hatte Muhammad erklärt, er könne gar nicht lesen. Der Engel hatte ihn mehrmals gedrückt und ihm schließlich die Worte vorgetragen, so daß sie sich für immer in sein Herz eingeprägt hatten. So erschütternd war dieses Erlebnis gewesen, daß Muhammad nicht mehr wußte, was nun aus ihm werden sollte.
Khadîjas Herz machte einen Sprung. Nur allzudeutlich spürte sie, was dies zu bedeuten hatte. Sie gab sich Mühe, ihre Erregung zu beherrschen, und sagte: "Allah will sicherlich nichts Schlimmes für dich. Du bist doch immer ein guter, aufrichtiger Mensch gewesen. Er hat dich auserwählt, Sein Gesandter zu sein. Du mußt jetzt Geduld haben."
Als Muhammad bald darauf erschöpft eingeschlafen war, ging Khadîja in die Stadt zu ihrem Vetter Waraqa bin Nawfal, der inzwischen ein alter Mann geworden war. Herzklopfend berichtete sie von Muhammads Erlebnis. Da rief Waraqa aus: "Heilig! Heilig! Bei dem, in dessen Hand meine Seele liegt! Wenn du die Wahrheit gesagt hast, dann ist wahrhaftig der Engel Gabriel zu ihm gekommen, wie er zu Mose kam, und er ist der Prophet dieses Volkes. Sag' ihm, er soll standhaft bleiben." Eine eigenartige Freude ergriff Khadîja, wie sie sie nie im Leben gekannt hatte.
In den folgenden Monaten lernte Khadîja von Muhammad eine neue Art des Gebets, die dieser selbst wiederum vom Engel Gabriel gelernt hatte und die dem Gebet des Erzvaters und Propheten Ibrahim glich. Täglich beteten die beiden zusammen. Dabei wurden sie einmal von Ali beobachtet. "Was macht ihr denn da?" fragte der Junge neugierig, als sie ihr Gebet beendet hatten. Da erklärte Muhammad ihm, wie er von Allah auserwählt worden war, Ihm allein zu dienen und andere dazu einzuladen. "So etwas habe ich noch nie gehört," entgegnete Ali nachdenklich, "ich kann erst dann etwas dazu sagen, wenn ich mit meinem Vater darüber gesprochen habe." Aber am nächsten Morgen sagte er: "Allah hat meinen Vater nicht gefragt, als Er mich geschaffen hat. Also brauche ich ihn auch nicht zu fragen, wenn ich Allah dienen will." Von nun an betete er täglich mit Muhammad und Khadîja. Aber auch Zaid, die Mädchen und Khadîjas Kinder bekannten sich zum Glauben an den einzigen Gott.
Khadîja konnte ihre Freude nicht zurückhalten. Während Muhammad seinen engsten Freunden von seinem göttlichen Auftrag erzählte, so daß Abu Bakr und später Uthmân, Zubair, Abdurrahman bin Awf, Sa'd bin Abi Waqqâs, Talha und einige andere den Islam annahmen, berichtete Khadîja ihren Freundinnen und Verwandten davon. Mehrere Männer und Frauen schlossen sich auf diese Weise dem Propheten an, bis in der ganzen Stadt darüber gesprochen wurde. Drei Jahre vergingen auf diese Weise. Dann erhielt eines Tages Muhammad den Auftrag, den Quraish offen seine Botschaft zu verkünden. Er lud sie also zu einem Essen ein, aber als er danach anfing zu sprechen, mischte sich Abu Lahab ein, einer seiner Onkel, und rief: "Euer Gastgeber will euch nur beeindrucken!" Und er machte geringschätzige Bemerkungen über alles, was Muhammad sagte. Besonders ärgerte es ihn, daß Muhammad die Götzen ablehnte und die überlieferten Sitten und Gebräuche kritisierte. Im Laufe der Zeit entwickelte er einen solchen Haß gegen den Propheten und den Islam, daß er seine Söhne veranlaßte, sich von Ruqayya und Umm Kulthûm zu trennen und sie zu ihren Eltern zurückzuschicken. Er hetzte die Leute gegen Muhammad und die Muslime auf.
In der Tat versuchten nun die führenden Männer der Stadt Mekka, Muhammad umzustimmen. Sie boten ihm Geld und Macht, und als er sich nicht darauf einließ, versuchten sie, ihn durch Drohungen gegen seine Verwandten zu erpressen oder durch widersinnige Wunderforderungen lächerlich zu machen. Als sie feststellen mußten, daß dies alles erfolglos war, ließen sie ihre Wut an den Schwachen unter den Muslimen aus, anden Sklaven, den Armen und den jungen Leuten, die von ihren Eltern abhängig waren. So wurde z.B. Bilâl, ein abessinischer Sklave, von seinem grausamen Herrn in die Wüste geschleppt und sollte dort mit einem schweren Stein auf der Brust in der Mittagshitze liegenbleiben, bis er den Islam aufgab oder starb. Er bekannte jedoch weiter seinen Glauben an den einzigen Gott, und schließlich rettete ihn Abu Bakr, indem er ihn seinem Herrn abkaufte und freiließ. Abu Bakr kaufte auch noch andere Sklaven und Sklavinnen frei, die von ihren Besitzern grausam mißhandelt wurden, aber manchmal kam solche Hilfe auch zu spät.
In dieser schweren Zeit stand Khadîja ihrem Mann treu zur Seite. Mit bewundernswertem Mut setzte sie sich für ihn ein. Sie stellte großzügig ihr eigenes Geld zur Verfügung, um Sklaven freizukaufen und Arme zu unterstützen, gewährte Verfolgten Schutz, half Verletzten und gab Deprimierten neue Hoffnung. In dieser Zeit mußten sich die Muslime heimlich treffen, wenn sie gemeinsam beten und lernen wollten, und ein junger Mann namens Arqam stellte ihnen sein Haus auf dem Hügel Safa zur Verfügung. Khadîja sorgte für alle liebevoll wie eine Mutter und veranlaßte durch ihr Beispiel viele Frauen und Mädchen, es ihr gleich zu tun. Trotz aller Schwierigkeiten bemühte sie sich immer wieder, Muhammad Ruhe und Erholung zu ermöglichen. Mit besonderer Sorgfalt kümmerte sie sich um Ruqayya und Umm Kulthûm und besonders um die kleine Fâtima, die das genaue Abbild ihres Vaters zu werden versprach.
Ruqayya heiratete bald darauf Uthmân, der aus einer wohlhabenden und angesehenen Familie stammte, von dieser aber eingesperrt, mißhandelt und verachtet worden war. Khadîja war froh, ihre Tochter an der Seite eines Mannes sehen zu dürfen, der ihren Glauben teilte und sich dafür einsetzte. Aber bald schon mußte sie von ihr und dem Schwiegersohn Abschied nehmen. Als nämlich die Verfolgungen in Mekka unerträglich wurdan, sorgte der Prophet dafür, daß diejenigen, die am schwersten betroffen waren, nach Abessinien auswandern konnten. Uthmân und Ruqayya waren auf der langen, beschwerlichen Reise und während des Aufenthalts dort für diese Gruppe verantwortlich.
Die Auswanderung nach Abessinien ärgerte die Götzendiener in Mekka noch mehr. Sie sahen darin eine Art Verrat. Vielleicht hatten sie ja auch ganz einfach Angst, die Muslime könnten den abessinischen Kaiser überreden, ihnen mit seinen Truppen beizustehen. Vergeblich schickten sie ihrerseits eine Gesandtschaft, die den Kaiser dazu bewegen sollte, die Muslime als Verräter und gefährliche Rebellen aus dem Lande zu verweisen. Der Herrscher überprüfte jedoch selbst die Angelegenheit. Er fand heraus, daß die Muslime nur ihrer Religion wegen verfolgt wurden, die im übrigen seiner eigenen christlichen Religion ähnelte, und gewährte ihnen bereitwillig Asyl.
Um so verärgerter waren die Götzendiener. Als sie sahen, daß alle ihre Pläne fehlschlugen, dachten sie darüber nach, wie sie Muhammad töten oder zumindest aus der Stadt vertreiben konnten. Die treue Khadîja hatte manchmal wohl allen Grund zur Sorge, wenn Muhammad allein hinausging. Schon einmal hatten Leute versucht, ihn zu erwürgen, als er bei der Ka'ba betete, und Abu Bakr, der im letzten Moment dazwischenkam und ihn rettete, war dafür selbst bewußtlos geschlagen worden. Oft war Muhammad auch nach Hause gekommen, und sie hatte ihn von dem Schmutz reinigen müssen, den boshafte Menschen über ihn geschüttet hatten, oder sie hatte seine Verletzungen verbinden müssen, die ihm seine Feinde aus dem Hinterhalt zugefügt hatten. Aber sie vertraute auf Allah.
Die Muslime trafen sich weiterhin im Haus des Arqam oder manchmal auch außerhalb der Stadt in der Wüste. Sie lernten vom Propheten alles, was ihm offenbart wurde, vor allem, was der Glaube an Allahs Einheit und die Auferstehung für sie bedeutete, das Gebet und die Reinigungsgebote, aber auch, wie sie eine Gemeinschaft aufbauen konnten, in der Liebe, Gerechtigkeit und Frieden herrschte. Manchmal mußten sie aberauch üben, sich gegen die immer neuen Angriffe und überfälle zu verteidigen, mit denen sie terrorisiert wurden.
Eines Tages konnte Muhammad Khadîja von einem Zwischenfall berichten, der große Freude auslöste. Eigentlich hatte alles damit angefangen, daß 'Umar bin al-Khattâb, einer der erbittertsten Feinde des Islam, mit gezogenem Schwert hinausging, um den Propheten zu töten. Er hatte herausgefunden, wo sich die Muslime trafen, und war fest entschlossen, nicht unverrichteterdinge nach Hause zu gehen. Unterwegs hatte er jedoch einen Bekannten getroffen, der ihn höhnisch aufforderte, doch erst einmal in der eigenen Familie nach dem Rechten zu sehen. "Was meinst du damit?" hatte 'Umar geschrien und erfahren, daß seine eigene Schwester bereits den Islam angenommen hatte. Zornig war er zu dem Haus gegangen, in dem sie mit ihrem Mann wohnte, und hatte schon von weitem gehört, daß drinnen der Qur'an rezitiert wurde. Auf sein wütendes Klopfen an die verschlossene Tür war drinnen entsetztes Schweigen gefolgt. Dann hatte sein Schwager geöffnet, und 'Umar war gleich mit den Fäusten auf ihn losgegangen, bis sich seine Schwester dazwischenwarf, um ihren Mann zu schützen, und selbst harte Schläge einstecken mußte, so daß ihr der Kopf blutete. Das wiederum hatte 'Umar erschreckt, und teils aus Neugier, weshalb seine Schwester auf einmal so tapfer war, teils um sie zu trösten, hatte er sie gebeten, ihm doch einmal etwas aus der Offenbarungsschrift vorzulesen. Nach anfänglichem Mißtrauen hatte sie die Blätter hervorgeholt, die sie bei seinem Kommen in ihrem Kleid versteckt hatte. Was 'Umar dann gehört hatte, das hatte ihn so tief beeindruckt, daß er zum Propheten ging, um den Islam anzunehmen. Die Gefährten, die seine frühere Gesinnung kannten, hatten ihn zuerst nicht hereinlassen wollen. Um so größer war jetzt ihre Überraschung und Freude.
'Umar gab sich keineswegs damit zufrieden, die Muslime heimlich zum gemeinsamen Gebet zu treffen, sondern betete in aller Öffentlichkeit bei der Ka'ba. Immer mehr Muslime taten es ihm nach und machten im Laufe der Zeit die Erfahrung, daß sie gemeinsam stark geworden waren. Niemand wagte es mehr, sie hinterrücks zu überfallen. Vorübergehende blieben oft neugierig stehen, dann wurde aus der Neugier echtes Interesse, und viele Männer und Frauen fanden ihren Weg zum Islam. Das konnten die führenden Männer der Stadt nicht mehr ertragen. Sie beratschlagten untereinander und beschlossen, die Muslime und ihre Familien zu boykottieren. Niemand sollte ihnen mehr etwas verkaufen oder etwas von ihnen kaufen, und niemand sollte jemanden von ihnen heiraten. Dieser Beschluß wurde niedergeschrieben und deutlich sichtbar an der Ka'ba aufgehängt. Die Muslime mußten ihre Häuser verlassen und in einer öden Schlucht in der Wüste leben.
Schon bald waren die Lebensmittelvorräte aufgezehrt und die Kleider zerschlissen. Manchmal konnten zwar die Männer ein wildes Tier erlegen, und die Frauen sammelten ein paar Kräuter oder Wurzeln und waren überhaupt sehr erfinderisch, wenn es darum ging, das wenige, das sie besaßen, nutzbringend zu verwenden. Aber um sich einmal richtig sattessen zu können, hätten sie in der Stadt Getreide kaufen müssen, und das war ihnen verwehrt. Solange noch etwas Geld vorhanden war, konnten sie schon einmal von den Beduinen etwas Milch für die Kinder oder eine warme Decke aus Ziegenhaar kaufen. Khadîja teilte im Laufe der Zeit alles, was sie hatte, mit den ärmeren Muslimen und verzichtete oft auf Dinge, die - wie sie meinte - andere nötiger brauchten als sie. Oft betete sie darum, daß ein Wunder geschah und Allah die harten Herzen der Mekkaner erweichte. Der Winter nahte, und ohne genügend Nahrung und Kleidung würde es schlimm für die Muslime aussehen.
So empfanden sie es wirklich wie ein Wunder, als eines Tages im Morgengrauen ein Kamel in die Schlucht gelaufen kam. Es trug kein Zaumzeug, war aber voll mit Lebensmitteln und warmen Kleidern beladen wie ein Geschenk vom Himmel. Auf den ersten Blick sah es so aus, als sei es seinem Besitzer davongelaufen, aber die Muslime erkannten es bald als ein Kamel von Hishâm bin Amr, dessen Mutter aus der Sippe des Propheten stammte und der von Anfang an gegen den Boykott gewesen war. Jetzt war es ihm gelungen, unbemerkt in der Nacht das Tier mit lebensnotwendigen Dingen zu beladen. Heimlich hatte er es in die Nähe der Schlucht geführt, ihm das Zaumzeug abgenommen und ihm einen kräftigen Tritt gegeben, so daß es geradewegs auf die Unterkünfte der Muslime zulief. Dies tat er von da an immer, wenn er eine Gelegenheit dazu hatte, so daß die größte Not der Muslime gelindert war.
Während der heiligen Monate konnten die Muslime auch in die Stadt gehen, ohne daß jemand sie daran hindern durfte, denn in dieser Zeit war jeder Kampf und Streit verboten. Da mußten sich die Götzendiener darauf beschränken, ihnen die kalte Schulter zu zeigen. Dem Propheten und den Muslimen gelang es jedoch, mit den Fremden zu sprechen, die zum Markt und zur Pilgerfahrt kamen, und ihnen vom Islam zu erzählen. Auf diese Weise wurde der Islam bis weit über den Hijaz hinaus bekannt. Sobald jedoch die heiligen Monate vorüber waren, mußten die Muslime wieder in ihrer Schlucht bleiben und wurden regelrecht belagert.
Bald stand der nächste Winter vor der Tür. In der Wüste können dann die Nächte eisig kalt sein. Die Muslime waren von den langen Entbehrungen geschwächt, und viele wurden krank, besonders Kinder und ältere Menschen. Niemand wußte, was aus ihnen werden sollte. Sie wußten nur, daß Allah niemals Seine Gesandten und die Gläubigen im Stich läßt, auch wenn Er sie manchmal schweren Prüfungen unterzieht. Aus dieser Überzeugung schöpften sie immer wieder neue Hoffnung. Treu und standhaft hielten sie zu ihrem Propheten und ehrten Khadîja, die ihm die beste Stütze und ihnen allen wie eine Mutter war. Sie war immer mit Rat und Tat dabei, wenn es darum ging, die Kranken zu versorgen oder auch die Familien der Verstorbenen zu trösten. Sie lehrte die jüngere Generation und gab ihr ein Beispiel. Sie sprach denen Mut zu, die an ihrer Lage verzweifeln wollten. Aber Khadîja spürte auch, daß sie selbst alt wurde und ihre eigenen Kräfte nachließen. Wenn sie allein war, dachte sie manchmal an ihre Jugendzeit zurück und an ihre Träume und Hoffnungen. Ihr geheimster Herzenswunsch war in Erfüllung gegangen: der ersehnte Gesandte Allahs war gekommen und hatte eine Offenbarung gebracht, die allen Völkern der Welt den Weg in eine glückliche, friedvolle Zukunft wies. Und sie hatte von Anfang an dabeisein und ihm in den schwersten Zeiten seines Lebens Beistand leisten dürfen. Aber würde diese Zukunftsvision je verwirklicht werden? Würde der Haß der Götzendiener je ein Ende finden? Würde Zeinabs Mann einmal den Weg zum Glauben finden, Ruqayya aus dem Exil zurückkehren können, Umm Kulthûm und Fâtima eine Familie gründen und Kinder haben? Würden die Jungen und Mädchen, die hier im Kampf ums Überleben heranwuchsen, jemals in Sicherheit und Freiheit Allah dienen und eine gerechte Gesellschaft aufbauen können?
Als sie einmal so völlig in Gedanken versunken zum Propheten kam, sagte dieser zu ihr: "Eben war Gabriel bei mir. Er hat mir eine Offenbarung gebracht und zu mir gesagt: 'Wenn gleich Khadîja kommt, dann grüße sie von ihrem Herrn und von mir. Sie ist eine der besten Frauen der Welt, wie Maryam, die Mutter von Isa. Tröste sie und gib ihr die Verheißung, daß sie im Paradies ein schönes Haus bekommen wird, in dem es weder Unfrieden noch Mühe gibt."
Drei Jahre dauerte der Boykott. Viele junge Leute in Mekka waren von der Standhaftigkeit der Muslime beeindruckt und fingen an, sich über den Islam Gedanken zu machen. Als Abu Bakr eine zeitlang unter dem Schutz eines Freundes in dessen Haus in der Stadt wohnen durfte und dort täglich laut den Qur'an rezitierte, trafen sich viele Jugendliche, Frauen und Sklaven heimlich in der Nähe, um ihm zuzuhören, und niemand konnte sie daran hindern. Hishâm bin Amr schickte immer noch nachts das Kamel in die Schlucht, so oft er konnte. Aber obwohl ihm manchmal enge Freunde dabei halfen, konnte ein Mann allein nicht eine ganze Schar von Muslimen versorgen. Die Muslime litten großen Mangel.
Eines Tages konnte es Hishâm nicht mehr ertragen. Er ging zu seinem Freund Zuhair bin Umayya, dessen Mutter Atika eine Tante des Propheten war, und sagte zu ihm: "Wie kannst du essen und das Leben genießen, wenn unsere eigenen Verwandten draußen in der Schlucht hungern und leiden?" Zuhair erwiderte: "Ich hätte schon längst etwas dagegen getan, wenn ich ein paar Verbündete hätte, denn ich war von Anfang an gegen den Boykott." "Einen Verbündeten hast du schon," versetzte Hishâm. "Wen denn?" fragte Zuhair und schaute seinen Freund überrascht an, als dieser sagte: "Mich." Auf diese Weise sprach Hishâm noch mit drei weiteren Freunden, und dann standen die fünf Männer eines Tages in der Ratsversammlung auf, um gegen den Boykott zu protestieren. "Das ist eine heimliche Verschwörung und ein Verrat gegen uns!" rief Abu Jahl dazwischen, der trotz seiner Intelligenz den Spitznamen "Vater der Unwissenheit" bekommen hatte, weil er beispiellos unvernünftig war und die offenkundigsten Dinge nicht wahrhaben wollte. Er war einer der ärgsten Feinde des Propheten. Hishâm antwortete: "Nein, wir waren schon immer gegen den Boykott, und ich werde mich nicht eher ruhig hinsetzen, bis dieses abscheuliche Dokument zerrissen und ungültig ist." Da gewannen auch andere Mut und stimmten ihm mit lauten Rufen zu. Darauf ging Hishâm selbst zur Ka'ba, um die Boykotturkunde herunterzureißen und zu vernichten. Aber er mußte zur Überraschung aller feststellen, daß die Ameisen das Papier schon zerfressen hatten, bis auf die Überschrift: "In Deinem Namen, o Allah! "
Damit war der Boykott aufgehoben, und die Muslime konnten wieder in ihre Häuser in der Stadt zurückkehren und ihrer gewohnten Beschäftigung nachgehen. Abu Tâlib, der alt und krank war, starb bald nach seiner Heimkehr. Die Muslime hatten in den Jahren des Boykotts fast ihr gesamtes Eigentum verloren und versuchten jetzt mit viel Mühe, die Geschäfte wieder in Gang zu bringen. Besonders schlimm hatte es Khadîja und Muhammad getroffen. Sie hatten besondere Verantwortung für die Muslime getragen, und Khadîja hatte ihren einstmaligen Reichtum vollständig für diese Sache eingesetzt, so daß fast nichts für sie selbst und für ihre Familie übriggeblieben war. Ihr fehlte auch die Kraft, ihr Geschäft neu aufzubauen. Die jahrelangen Entbehrungen hatten so an ihrer Gesundheit gezehrt, daß sie sich nicht wieder davon erholte. Sie wußte, daß sie am Ende ihres irdischen Lebens angelangt war. Aber sie war glücklich darüber, daß sie immer wieder erleben durfte, wie Allah für die gläubigen Menschen sorgt und die Standhaften belohnt, und sie starb zufrieden und voller Zuversicht.