Aisha, die Tochter von Abu Bakr


Aisha war noch ein kleines Mädchen, als Prophet Muhammad (s) anfing, seine göttliche Botschaft zu verkünden. Ihr Vater Abu Bakr war ein guter Freund des Propheten und einer der ersten Gläubigen. Er bemühte sich, alles, was er wußte und lernte, seinen Kindern weiterzugeben, Mädchen und Jungen, und ihnen eine gute Erziehung zu geben. So kam es, daß Aisha schon als Kind etwas lernte, was damals nur wenige konnten, nämlich lesen. Sie war ein intelligentes, aufgeschlossenes Mädchen. Von Anfang an lernte sie jeden neue Abschnitt der Offenbarung auswendig und bestürmte sowohl ihren Vater mit Fragen als auch den Propheten selbst, wenn er zu Besuch kam.

Aisha konnte es nicht so recht verstehen, daß es in Mekka Leute gab, die den Propheten haßten und ihn am liebsten aus der Stadt vertrieben hätten. Einmal hatten sie sogar versucht, ihn zu töten. Aishas Vater war im letzten Augenblick dazwischengekommen und hatte ihm das Leben gerettet. Dafür hatten ihn dann aber die anderen geschlagen, bis er bewußtlos wurde und nach Hause getragen werden mußte. Aisha konnte sich noch gut an die Aufregung erinnern. Die Großmutter hatte sehr geweint, denn seine Wunden sahen schlimm aus. Als er wieder zu sich gekommen war, hatte er nicht etwa über seine Schmerzen geklagt, sondern zuerst gefragt, wie es dem Propheten ging. Darüber hatte sich die Großmutter sehr gewundert. Wenn Abu Bakr jemanden so sehr liebte, daß er ihn für wichtiger ansah als sich selbst, dann mußte er doch ein ganz besonderer Mensch sein.

Später, als Abu Bakr wieder gesund war, war die Großmutter dann selbst zum Propheten gegangen, um ihm zu sagen, daß auch sie von nun an niemandem mehr außer Allah dienen wollte. Der Prophet war doch gekommen, um den Menschen von Allah und von Seinen früheren Gesandten zu erzählen, sie vor Götzendienst und Unrecht zu warnen und sie zum Guten aufzufordern. Und er selbst war zu allen freundlich, gütig und hilfsbereit. Aisha hatte ihn sehr lieb.

Lange Zeit über mußten die Muslime sich heimlich treffen, wenn sie gemeinsam beten, lernen oder miteinander sprechen wollten. Die Feinde des Islam lauerten ihnen auf, warfen ihnen Schmutz oder Dornen in den Weg, beleidigten und schlugen sie oder töteten einige sogar. Einmal war auch ein Junge für seinen Glauben getötet worden. Besonders schlimm erging es den Sklaven. Aisha erinnerte sich, wie ihr Vater eines Tages Bilal mitbrachte, einen Sklaven aus Afrika, den er seinem grausamen Herrn abgekauft und freigelassen hatte, weil er sonst an den Mißhandlungen gestorben wäre. Auch andere Sklavinnen und Sklaven hatte Abu Bakr im Laufe der Zeit freigekauft.

Später mußte eine ganze Anzahl von Muslimen die Stadt Mekka verlassen und nach Abessinien auswandern, wo Christen lebten, die ebenso wie sie an den einzigen Gott glaubten und sie eine zeitlang bei sich aufnahmen. Kurz zuvor war die Sura Maryam offenbart worden, in der von Maryam und ihrem Sohn Isa berichtet wird und von Ibrahim, der seinem Vater riet, den Götzendienst zu unterlassen, so wie jetzt Prophet Muhammad (s) die Menschen zum Glauben an den einzigen Gott aufrief. Die Christen kannten diese Geschichten sehr gut.

Später wurden in Mekka alle Muslime mit ihren Familien drei Jahre lang aus der Stadt verbannt und mußten in einer Schlucht in der Wüste leben. Aber da war Aisha schon größer und dachte gründlich über alles nach, was sie erlebte und beobachtete. Sicher wurden die Muslime ihres Glaubens wegen verfolgt und litten große Not. Aber hatten sie nicht auch eine wunderbare Offenbarung erhalten, die zum Guten führte? Mit den Götzendienern wollte sie jedenfalls nicht tauschen, auch wenn sie allem Anschein nach ein bequemes Leben führten und ihren Reichtum und ihre Macht genossen. Es schauderte Aisha, wenn sie daran dachte, wie die Götzendiener zwar einerseits Göttinnen anbeteten, andererseits aber die Frauen verachteten und manchmal sogar kleine Mädchen lebendig begruben oder aussetzten, weil sie es für eine Schande hielten, Töchter zu haben. Der Prophet dagegen liebte seine Töchter und war in gegenseitiger Liebe und Respekt mit seiner Frau Khadija verbunden, der Mutter der Gläubigen. Nein, mit dieser Offenbarung war eine neue Zeit angebrochen. Sicher würden sich die Menschen bald von der Angst vor den alten Götzen befreien und wie Geschwister miteinander leben. Für eine solche Zukunft lohnte es sich, Geduld zu haben und Opfer zu bringen, ganz zu schweigen vom zukünftigen Leben nach unserem irdischen Tod.

Aisha teilte ihren Glauben und ihre Hoffnungen mit ihrer Schwester Asma und ihrem Bruder Abdullah. Mit ihrem anderen Bruder Abdurrahman gab es manchmal heftige Meinungsverschiedenheiten. Er war zwar kein ausgesprochener Feind des Islam, aber er hielt an den überlieferten Vorstellungen und Bräuchen fest und wollte von Prophet Muhammad (s) und den Muslimen nichts wissen. Manchmal war Aisha auch ein bißchen eifersüchtig auf die Kinder, die im Haushalt des Propheten aufwuchsen, auf Ali, Fatima und Umm Kulthum, die immer bei ihm sein durften und alles aus nächster Nähe lernen konnten. Aber sie überwand dieses Gefühl mit der Dankbarkeit dafür, daß ihr Vater sich sorgfältig und liebevoll um ihre Erziehung kümmerte und immer darauf einging, wenn wie sich für eine Sache besonders interessierte. Das war nämlich in der damaligen Zeit überhaupt nicht selbstverständlich. Als sie herangewachsen war, wurde sie der Sitte entsprechend mit einem jungen Mann verlobt, dessen Vater Al-Mutamm für ihn bei Abu Bakr um Aisha geworben hatte.

Dies geschah um die Zeit, als die Muslime aus der Verbannung nach Mekka zurückgekehrt waren und wieder am gesellschaftlichen Leben der Stadt teilnehmen konnten. Kurz darauf starb Khadija, die Frau des Propheten, an den Folgen der Entbehrungen und Strapazen des Boykotts. Die Muslime waren sehr traurig, denn sie war im wahrsten Sinne des Wortes eine Mutter der Gläubigen gewesen, und niemand würde sie je ersetzen können. Besonders schwer war der Verlust für die Töchter Umm Kulthum und Fatima, die noch bei den Eltern lebten, und für den Propheten selbst, denn sie hatte ihm bei seiner schweren Aufgabe immer treu zur Seite gestanden und mit Rat und Tat geholfen und war überhaupt die erste gewesen, die auf seine Botschaft gehört und mit ihm zusammen gebetet hatte.

Damals gab es eine alte Heiratsvermittlerin namens Hawla, die in ihrem Beruf erfahren war und gute Menschenkenntnis hatte. Sie ging zum Propheten und sagte: "Gesandter Allahs, ich sehe, daß du durch den Verlust Khadijas sehr einsam geworden bist." "Das stimmt," erwiderte er, "sie war doch die Mutter unserer Kinder und das Oberhaupt des Hauses. Wer sollte sie mir je ersetzen können?" "Wie wäre es mit Aisha, der Tochter deines liebsten Freundes?" fragte Hawla dagegen. Muhammad sah im Geiste das fröhliche, intelligente Mädchen vor sich. "Aber sie ist doch noch viel zu jung," wandte er ein. Darauf war Hawla aber vorbereitet. "Du kannst ja jetzt bei ihrem Vater für sie werben," schlug sie vor, "und dann warten, bis sie älter ist. Inzwischen kannst du Sawda bint Zama heiraten, Sie ist eine Witwe und hat genug Lebenserfahrung, um sich um dein Haus und um deine Töchter kümmern zu können." In der damaligen Zeit war es nämlich ganz üblich, daß ein Mann mehrere Frauen heiratete, wenn er sie und ihre Kinder versorgen konnte. Sawda war eine ältere Frau und außerdem eine der ersten Muslime. Sie hatte unter den Verfolgungen der Götzendiener viel zu leiden gehabt, bis sie schließlich mit ihrem Mann nach Abessinien ausgewandert war. Leider war er aber dort gestorben, und Sawda lebte jetzt allein in Mekka und hatte niemanden, der sie versorgte.

Muhammad war mit diesem Vorschlag einverstanden. So fand zunächst Sawda bei ihm ein neues Zuhause, das sie reichlich für alles entschädigte, was sie in den letzten Jahren erlitten hatte. Sie war sehr glücklich darüber und gab sich große Mühe, Fatima und Umm Kulthum über den Verlust ihrer Mutter hinwegzutrösten und dem Propheten so manche Last abzunehmen.

Inzwischen war Hawla zu Abu Bakr gegangen, um für den Propheten um Aisha zu werben. Dieser hatte zunächst Bedenken gehabt, ob die beiden auch wirklich zusammenpaßten, aber es war Hawla gelungen, diese zu zerstreuen. Jeder wußte schließlich, wie gern Aisha den Propheten hatte und mit welchem Eifer sie alles aufnahm, was er lehrte, um es auch gleich darauf in die Tat umzusetzen. Aber noch ein anderes Hindernis hatte im Weg gestanden. Abu Bakr war stirnrunzelnd hinausgegangen, und Hawla hatte erschreckt gefragt: "Was hat er denn nun?" "Al-Mutamm hat für seinen Sohn um Aisha geworben," hatte Aishas Mutter erklärt, "und Abu Bakr hat noch nie etwas versprochen und es dann nicht gehalten."

Abu Bakr aber war zu Al-Mutamm gegangen, um mit ihm über diese Sache zu sprechen, und war von dessen Frau mit scharfen Worten empfangen worden: "Wenn wir zulassen würden, daß unser Sohn deine Tochter heiratet, dann würde sie ihn sicher bald von unserer Religion abbringen und zu eurer Religion hinüberziehen!" Fragend hatte Abu Bakr Al-Mutamm angeschaut. "Du hast gehört, was sie gesagt hat," hatte dieser eisig entgegnet. Da wußte Abu Bakr, daß aus der geplanten Heirat nichts werden konnte und er von seinem Versprechen befreit war. Erleichtert ging er nach Hause und sorgte dafür, daß bald darauf der Ehevertrag zwischen seiner Tochter Aisha und dem Propheten abgeschlossen wurde. Aisha blieb jedoch vorläufig noch im Haus ihres Vaters.

In den beiden nächsten Jahren geschahen Dinge, die für die Muslime eine wichtige Wende herbeiführen sollten. Schon während des Boykotts hatte Prophet Muhammad (s) in den Tagen der großen Pilgerfahrt versucht, mit den Fremden zu sprechen, die Mekka besuchten, um ihnen die islamische Botschaft zu verkünden. Darunter waren auch Leute aus Yathrib gewesen, der Oasenstadt nördlich von Mekka, wo seit Generationen Krieg zwischen den ansässigen Stämmen herrschte. Sie hatten das, was sie vom Propheten gehört hatten, ihren Angehörigen zu Hause weitererzählt und darüber nachgedacht.

Inzwischen hatte Prophet Muhammad (s) in Mekka ein merkwürdiges Erlebnis. Als er einmal bei seiner Kusine Umm Hani bint Abi Talib übernachtete, erschien der Engel Gabriel mit einem Reittier namens Buraq und forderte ihn zum Aufsitzen auf. Mit Windeseile ging die Reise nach Jerusalem zur "Fernsten Moschee", wo ihn bereits die früheren Propheten und Gesandten erwarteten. Gemeinsam verrichteten sie ein Gebet, wobei Prophet Muhammad (s) der Imam war. Dann führte Gabriel ihn weiter zum Himmel, wo er vielerlei Wunder erleben durfte und schließlich seinem Schöpfer selbst gegenüberstand. Als er am nächsten Morgen von seiner nächtlichen Reise erzählte, begegneten ihm die Götzendiener mit spitzen Bemerkungen und fingen an, über die Möglichkeit und Unmöglichkeit einer solchen Reise zu streiten. Sogar einige Muslime wandten sich daraufhin vom Propheten ab. Als Abu Bakr zu ihm kam, berichtete Allahs Gesandter gerade von seinem Besuch in Jerusalem. Gespannt hörte er zu, wie er den Berg beschrieb, wo er mit den anderen Propheten zusammen gebetet hatte. Abu Bakr war nämlich selbst einmal auf einer Handelsreise in Jerusalem gewesen und konnte diesen Bericht nur bestätigen. "Du hast die Wahrheit gesprochen, Gesandter Allahs!" rief er aus. Seither trug er den Beinahmen As-Siddiq ("der die Wahrheit bestätigt").

Während der nächsten Pilgerfahrt erschien eine Abordnung von zwölf Männern aus Yathrib beim Propheten. Sie stellten ihm eine Reihe von Fragen, die er beantwortete, und versprachen ihm, keine Götzen mehr anzubeten, nicht zu stehlen, keine Unzucht zu treiben, ihre Kinder nicht zu töten, die Mitmenschen nicht zu verleumden und ihm in allen guten Dingen zu gehorchen. Der Prophet schickte einen der Muslime aus Mekka als Lehrer mit ihnen, der ihnen den Qur'an vortragen und sie unterweisen sollte. Viele Menschen in Yathrib fanden daraufhin ihren Weg zum Islam. Im nächsten Jahr reiste eine Abordnung von dreiundsiebzig Männern und zwei Frauen nach Mekka. Sie luden den Propheten und die Muslime nach Yathrib ein, denn nach allem, was die Leute dort bisher vom Islam gehört hatten, waren sie überzeugt, daß der Prophet dem Stammeskrieg dort ein Ende bereiten und für Frieden und Sicherheit sorgen könnte. Dafür versprachen sie, ihm in allen guten Dingen zu gehorchen und sich auf jede Weise für ihn und die Muslime einzusetzen. Von da an begann Prophet Muhammad (s), die Muslime in kleinen Gruppen nach Yathrib zu schicken.

Als die Götzendiener von diesem Abkommen erfuhren, waren die meisten Muslime schon in Sicherheit. Da beschlossen sie, den Propheten zu töten. Sie bestimmten aus jeder Sippe einen jungen Mann, und diese sollten dann nachts alle gleichzeitig angreifen, so daß keiner von ihnen als Mörder zur Rechenschaft gezogen werden konnte. Der Prophet erfuhr durch eine Offenbarung vom Plan der Götzendiener. In der Nacht legte sich Ali auf das Bett des Propheten, so daß es für jemanden, der vielleicht zum Fenster hereinschaute, so aussah, als schliefe der Prophet tief und fest. Er selbst konnte mit Allahs Hilfe unbemerkt das umstellte Haus verlassen und ging zu Abu Bakr, den er sich als Reisegefährten ausgesucht hatte. Abu Bakr verabschiedete sich kurz von seiner Familie, und die beiden Männer brachen auf, um sich zunächst in der Wüste in einer Höhle zu verstecken. Als die Verschwörer ins Haus des Propheten eindrangen, fanden sie in dessen Bett nur Ali. Völlig außer sich liefen sie zu Abu Bakrs Haus. Auf Abu Jahls wütendes Klopfen öffnete Asma die Tür. "Wo ist dein Vater?" schrie Abu Jahl. "Er ist nicht zu Hause," antwortete Asma. "Wo ist er hingegangen?" fragte Abu Jahl, "Ist er allein, oder ist jemand bei ihm?" "Das weiß ich nicht," erwiderte das Mädchen. Abu Jahl spürte jedoch, daß sie sehr wohl wußte, wo ihr Vater war, es aber nicht sagen wollte. Er versetzte ihr eine Ohrfeige und ging weg. Eine Belohnung von hundert Kamelen wurde für den ausgesetzt, der den Propheten und Abu Bakr fand und auslieferte - lebendig oder tot.

Inzwischen packten Asma und Aisha eilig Reiseproviant für die beiden Männer für ihre Reise nach Yathrib zusammen. Es wurde ein großes Paket. Als sie nichts finden konnten, um es zusammenzuschnüren, zerschnitt Asma ihren Gürtel und benutzte die eine Hälfte für das Paket. Deswegen bekam sie später vom Propheten den Spitznamen "die mit den beiden Gürteln". Später luden sie das Paket auf ein Kamel, das ihr Bruder Abdullah heimlich zur Höhle hinausbrachte, indem er vorgab, es auf die Weide zu führen. Der Prophet und Abu Bakr gelangten wohlbehalten nach Yathrib.

Kurze Zeit später folgten ihnen die übrigen Muslime bis auf einige, die zu arm oder zu schwach für die Reise waren oder von ihren Familien an der Auswanderung gehindert wurden wie beispielsweise Zeinab, die Tochter des Propheten, deren Mann kein Muslim war. Abu Bakr mietete für seine Familie in Yathrib ein Haus. Er selbst wohnte zunächst bei einem Mann, mit dem er bei seiner Ankunft Brüderschaft geschlossen hatte, und half selbst beim Bau der neuen Moschee mit. Bald darauf wurde auch die Hochzeit des Propheten mit Aisha gefeiert, obwohl die Muslime den größten Teil ihrer Habe in Mekka hatten zurücklassen müssen und es nur wenig zu essen gab. Es wurde trotzdem eine schöne Feier, und Aisha zog in ein Häuschen direkt neben der neuen Moschee. Nebenan wohnte auch Sawda, die für die Kinder des Propheten verantwortlich war.

Tatsächlich gelang es dem Propheten, Frieden in Yathrib zu stiften. Unter seiner Anleitung schlossen alle dortigen Stämme, die arabischen wie die jüdischen, miteinander einen Vertrag, in dem ihre gegenseitigen Rechte und Pflichten festgelegt wurden so wie heute in einer Staatsverfassung. Sie alle verpflichteten sich, gegen äußere Feinde zusammenzuhalten. Zum ersten Mal gab es für alle Glaubensfreiheit. Die Stadt Yathrib aber wurde von nun an Madinat-un-Nabi ("Stadt des Propheten") genannt.

Aber die äußeren Feinde machten sich schon bald bemerkbar. Es kam zu einem Kampf bei Badr, bei dem die mekkanischen Götzendiener den Muslimen um das Dreifache an Anzahl überlegen waren und zudem noch viel bessere Waffen hatten. Dennoch konnten die Muslime mit Allahs Hilfe den Feind zurückschlagen. Ein Jahr später kam es wieder zu einem Kampf, und zwar bei Uhud. Obwohl es auch diesmal den Muslimen gelang, die Götzendiener zurückzuschlagen, verloren doch viele Männer ihr Leben und ließen ihre Frauen als Witwen zurück. Oft waren die Frauen selbst solche, die sich von Anfang an für den Islam eingesetzt hatten, ihres Glaubens wegen verfolgt worden waren und ihre Heimat hatten verlassen müssen. Um ihnen ihr hartes Los zu erleichtern und ihnen und ihren Kindern ein richtiges Familienleben zu ermöglichen, forderte Prophet Muhammad (s) seine Gefährten auf, sie zu heiraten. Er selbst nahm einige dieser Frauen in seine Familie auf. Aisha war deswegen manchmal auch eifersüchtig, aber auf keine war sie so eifersüchtig wie auf die verstorbene Khadija, an die der Prophet oft zurückdachte.

In den ersten Jahren war das Leben in Medina für die Muslime nicht leicht. Sie waren arm und mußten ihre wenige Habe miteinander teilen. Die Männer arbeiteten auf den Feldern, hüteten das Vieh, stellten Geräte her, bauten Häuser und trieben etwas Handel. Die Frauen buken Brot, spannen die Wolle ihrer Schafe, machten Kleider und Einrichtungsgegenstände und versorgten ihre Kinder. Oft gab es nicht genug zu essen, so daß sich machmal zwei Menschen eine einzige Dattel teilen mußten. Aisha hatte einmal für den Propheten Brot gebacken, als ein Bettler zu ihr kam, der seit Tagen nichts gegessen hatte. Da gab sie dem Bettler das Brot und ging selbst mit dem Propheten hungrig schlafen. Die meisten Muslime hatten auch nur ein einziges Kleidungsstück; wenn dieses gewaschen wurde, mußten sie inzwischen zu Hause bleiben. Trotzdem vertrauten sie auf Allah und waren fröhlich. Aisha erzähle später, daß der Prophet oft mit ihr spazierenging und dann manchmal einen Wettlauf mit ihr machte. Sie konnte schnell laufen, und anfangs gewann sie auch meistens.

Auch ein drittesmal griffen die mekkanischen Götzendiener Medina an. Als die Muslime von ihrem Anmarsch erfuhren, hoben sie um die Stadt herum einen tiefen Verteidigungsgraben aus und brachten die Frauen und Kinder in der Festung unter. Die Mekkaner hatten sich mit verschiedenen Stämmen verbündet und belagerten nun Medina und versuchten, in die Stadt zu gelangen oder den Bewohnern zumindest den Weg zu Nahrung und Wasser abzuschneiden. Aber auch in der Stadt selbst gab es Spione. Da gab es nämlich Heuchler, die nur äußerlich so taten, als ob sie Muslime wären, innerlich aber zu den Götzendienern hielten. Eines Tages erkundete ein Spion den Weg in die Festung, wo die Frauen und Kinder waren. Gerade rechtzeitig entdeckte ihn Safiya, eine Tante des Propheten. Geistesgegenwärtig schaute sie sich nach etwas um, was sie als Waffe benutzen konnte, um ihn unschädlich zu machen, und fand einen Zeltpflock. Damit erschlug sie ihn und nahm ihm seine Waffen ab. Der Widerstand wurde aber für die Muslime immer schwieriger, denn die verbündeten Feinde konnten leicht Nachschub und Verstärkung bekommen, während die Vorräte der Muslime in der Stadt allmählich zu Ende gingen und sie auf sich selbst gestellt waren. Da brach eines nachts ein gewaltiger Sturm los, der die Zelte der Belagerer wegriß, und ein eisiger Regen sorgte dafür, daß sie sich schnellstens in Sicherheit brachten. So zerstreuten sich die Feinde und kamen auch nicht wieder.

Jedesmal, wenn Prophet Muhammad (s) Medina verließ, begleitete ihn eine seiner Frauen. Auch auf Feldzügen waren immer Frauen dabei, die die Verwundeten behandelten und pflegten, denn sie kannten so manches Heilkraut, das in der Wüste zu finden war. Sie bewachten auch das Lager, sorgten für Wasser und Verpflegung und nahmen sogar am Kampf teil, wenn dies notwendig wurde. Auf diese Weise war auch Aisha oft mit dem Propheten unterwegs gewesen und wußte viel davon zu berichten. Auf einer solchen Reise saßen die Frauen in Kamelsänften, die mit einem Vorhang verschlossen wurden, damit sie vor der glühenden Sonne geschützt waren. Eines Morgens nach der Rast, als die Kamele schon beladen wurden, stellte Aisha fest, daß sie beim Waschen ihre Halskette verloren hatte, und ging, um sie zu suchen. Niemand hatte bemerkt, daß sie weggegangen war. Alle glaubten, Aisha sei schon in ihre Kamelsänfte gestiegen, und als sie mit dem Beladen fertig waren, brachen sie auf. Als Aisha die Kette gefunden hatte und zurückkam, waren die anderen schon fort. Sie bekam aber keine Angst. Sie wußte nämlich, daß die anderen sie bald vermissen und nach ihr suchen würden, und dazu war es wichtig, daß sie hierblieb und wartete, denn hier gab es einen Brunnen, ohne dessen Wasser sie in der Wüste verloren wäre. Sie wickelte also ihr Gewand fest um sich und setzte sich in den Schatten. Schon bald fand sie Safwan, ein junger Mann, der auf dieser Reise die Nachhut bildete. Er erkannte Aisha, ließ sie auf sein Kamel steigen und ging selbst zu Fuß, bis sie am frühen Nachmittag in Medina ankamen, wo die anderen schon eingetroffen waren.

Nun gab es aber unter denen, die Aisha und Safwan in Medina ankommen sahen, auch böse Menschen, die bald darauf anfingen, über die beiden schlecht zu reden. Sie hatten weder Respekt vor Aisha, der Mutter der Gläubigen, noch schätzten sie Safwans selbstverständliche Hilfsbereitschaft, sondern hatten nur schmutzige Gedanken und setzten üble Verleumdungen in Umlauf. Aisha selbst wußte anfangs nicht einmal etwas davon, denn sie war krank geworden und hatte den Propheten gebeten, sie einstweilen bei ihren Eltern wohnen zu lassen, bis es ihr wieder besser ging. Als sie schließlich von den Gerüchten erfuhr, war sie bestürzt und traurig. Natürlich hatte inzwischen auch der Prophet davon gehört und in einer Ansprache die Leute aufgefordert, sowohl von Aisha als auch von Safwan nur das Beste zu denken. Aber die Heuchler nahmen die Geschichte zum Anlaß, den Propheten lächerlich zu machen und Streit unter den Muslimen anzustiften. Da ging der Prophet zu Aisha, die noch bei ihren Eltern war, um mit ihr über die Sache zu sprechen. Er sagte zu ihr: "Wenn das wahr ist, was du gehört hast, dann fürchte Allah. Solltest du das, was die Leute dir nachsagen, wirklich begangen haben, dann suche Erbarmen bei Allah. Allah nimmt die Reue Seiner Diener an." Als Aisha das hörte, verwandelte sich ihre Traurigkeit in Empörung. Sie schaute ihre Eltern an, weil sie erwartete, daß diese etwas dazu sagen würden, aber sie schwiegen. "Antwortet ihr nicht?" rief Aisha. "Bei Allah," erwiderte Abu Bakr ratlos, "was sollen wir da antworten? Wir wissen es nicht." Da fing Aisha an zu weinen, aber nach einer Weile faßte sie sich und sagte: "Ich habe nichts von dem zu bereuen, was du mir da gerade vorgehalten hast. Bei Allah, gäbe ich zu, was die Leute von mir behaupten - und Allah weiß, daß ich unschuldig bin - dann würde ich etwas Unwahres sagen. Wenn ich es aber abstreite, dann glaubt mir ja doch niemand! So muß ich denn wie der Vater des Propheten Yusuf sagen: 'Da bleibt mir nichts als schöne Geduld mit dem, was ihr sagt!" Der Prophet versank darauf in tiefes Nachdenken, und schließlich gelangte er in den Zustand, in dem er die Offenbarungen empfing. Folgendes wurde ihm mitgeteilt:

"Diejenigen, welche die große Lüge vorbrachten, sind eine Gruppe unter euch. Glaubt nicht, es sei ein Übel für euch. Im Gegenteil, es ist euch zum Guten. Jeden von ihnen trifft die Sünde, die er begangen hat, und den von ihnen, der den Hauptanteil daran hatte, soll schwere Strafe treffen. Warum dachten die gläubigen Männer und Frauen, als ihr es hörtet, nicht Gutes von ihren eigenen Leuten und sprachen: 'Dies ist eine offenkundige Lüge?' Warum brachten sie nicht vier Zeugen dafür? Da sie keine Zeugen gebracht haben, sind sie es also, die vor Allah die Lügner sind. Wäre nicht Allahs Huld und Seine Barmherzigkeit über euch, hier und im zukünftigen Leben, eine schwere Strafe hätte euch getroffen für das, worauf ihr euch einließet. Als ihr es übernahmt mit euren Zungen und ihr mit eurem Mund ausspracht, wovon ihr keine Kenntnis hattet, da hieltet ihr es für eine geringe Sache, derweil es vor Allah eine große war. Warum sprachet ihr nicht, als ihr es hörtet: 'Es kommt uns nicht zu, darüber zu reden. Heilig bist Du! Das ist eine arge Verleumdung! Allah ermahnt euch, nie wieder dergleichen zu begehen, wenn ihr gläubig seid, und Allah erklärt euch die Gebote, denn Allah ist allwissend, allweise. Jenen, die wünschen, daß sich Unsittlichkeit unter den Gläubigen verbreite, wird hienieden und im zukünftigen Leben schwere Strafe. Allah weiß, und ihr wißt nicht. Wäre nicht Allahs Huld und Seine Barmherzigkeit über euch, und daß Allah gütig und erbarmend ist ...." (Sura 24:12-21)

Da atmete Abu Bakr erleichtert auf und küßte seine Tochter, und die Mutter forderte sie auf, sich an die Seite ihres Mannes zu stellen. "Bei Allah," entgegnete Aisha, "ich stelle mich nicht an seine Seite, denn allein Allah habe ich den Freispruch zu verdanken." Die offenbarten Verse jedoch warnen uns für alle Zeit davor, unsere Mitmenschen zu verleumden oder ihnen Böses nachzusagen.

Aisha konnte von ihrem Zimmer aus alles beobachten, was in der Moschee vor sich ging. Täglich hielt der Prophet dort seinen Unterricht. Manchmal kamen Menschen zu ihm, um ihm Fragen zu stellen oder bei einem Problem um Rat zu fragen. Menschen, die kein eigenes Heim hatten, fanden in der Moschee Unterkunft, bis sie anderswo Wohnraum für sich fanden. Die Muslime trafen sich in der Moschee, um wichtige Angelegenheiten miteinander zu besprechen und Beschlüsse zu fassen. Manchmal kamen Gesandtschaften fremder Stämme und Völker, um mit dem Propheten zu verhandeln oder ein Bündnis zu schließen. Auch Gerichtsverhandlungen fanden statt. Aisha war eine kluge Beobachterin, und durch sie sind uns viele dieser Ereignisse überliefert worden, so daß wir bis heute daraus lernen können. Auch vom Familienleben des Propheten hat sie vieles berichtet, so daß er der einzige Prophet ist, dessen Alltag wir uns genau vorstellen können und den wir uns in allen Lebenslagen zum Vorbild nehmen können.

Nach jahrelangen Auseinandersetzungen mit den Götzendienern von Mekka kam es endlich zu einem Friedensvertrag, dem Vertrag von Hudaibiya. In der darauffolgenden Zeit hatten viele Stämme auf der arabischen Halbinsel Gelegenheit, den Islam kennenzulernen, und eine ganze Reihe von ihnen schloß sich dem Propheten an. Aisha, die selbst keine Kinder hatte, fing an, andere das zu lehren, was sie selbst vom Propheten gelernt hatte. Dies taten auch einige andere Mütter der Gläubigen. Sie alle hatten eine wichtige Stellung in der Gemeinschaft. Mit zurückhaltender Würde leisteten sie ihren Dienst, wie es für Frauen in der damaligen Zeit noch sehr ungewöhnlich war. Sie zeigten durch ihre Kleidung und ihr Verhalten, daß es angebracht war, ihnen Respekt entgegenzubringen, in einer Zeit, als Frauen wenig respektiert wurden.

Schon nach wenigen Jahren brachen die Verbündeten der Götzendiener den Friedensvertrag. Die Muslime waren inzwischen zahlreich geworden. Es gelang ihnen, Mekka ohne Blutvergießen einzunehmen, und sie verzichteten auf jede Vergeltung für all das Leid, das ihnen die Götzendiener zugefügt hatten, und vergaben ihnen. Die Götzendiener hatten indessen mit einer furchtbaren Strafe für ihr Verhalten den Muslimen gegenüber gerechnet. Von der Vergebung waren sie so völlig überrascht, daß sie allesamt den Islam annahmen.

Aisha begleitete den Propheten auf seiner letzten Pilgerfahrt nach Mekka, wo er seine Abschiedsansprache hielt, und wo zum letztenmal ein Stück vom Qur'an offenbart wurde. Allah sprach:

"Heute habe Ich eure Religion vervollkommnet und Meine Gnade an euch erfüllt und euch den Islam zur Religion erwählt." (Sura 5:4)

Bald nachdem Allahs Gesandter nach Medina zurückgekehrt war, wurde er schwer krank. Er bat seine Frauen um Erlaubnis, in Aishas Haus zu bleiben, um dort gepflegt zu werden. Oft ging es ihm so schlecht, daß er nicht einmal mehr die paar Schritte zur Moschee gehen konnte. Dann schickte er Abu Bakr, die Gebete zu leiten. Wenn er hohes Fieber hatte, kühlten Aisha und Fatima ihn mit Wasser. Vom Ende seines Lebens berichtete Aisha später:

"Ich merkte, daß der Prophet auf meinem Schoß schwer geworden war. Da schaute ich in sein Gesicht und sah, daß sein Blick schwach wurde, und er sagte: 'Auf zum höchsten Gefährten des Paradieses!"'

Auf die Nachricht vom Tod des Propheten hin kamen seine nächsten Verwandten, um ihn zu waschen. Sie begruben ihn in Aishas Haus. Schmerz und Trauer ergriff die Muslime. 'Umar bin al-Khattab wurde davon so überwältigt, daß er sein Schwert zog und drohte, jeden zu töten, der behauptete, der Prophet sei gestorben. Abu Bakr aber sagte: "Wenn jemand von euch an Muhammad geglaubt hat - nun, der ist gestorben. Wenn ihr aber an Allah glaubt - Allah lebt ewig und stirbt nie."

Die Muslime waren nicht nur traurig, sondern auch verwirrt. Einige konnten sich nicht vorstellen, wie das Leben nun weitergehen sollte. Um den Zerfall der Gemeinschaft zu verhindern, mußte schnell jemand gefunden werden, der genug Erfahrung hatte und das Vertrauen der anderen genoß, um die Geschicke der Gemeinschaft zu lenken. So kam es, daß Abu Bakr zum Kalifen, zu "Stellvertreter des Propheten", gewählt wurde. Aisha machte sich Sorgen um ihren Vater, denn er war alt, und seine Aufgabe war gewiß nicht leicht. Immer wieder versuchten eigennützige Menschen, Zwietracht unter den Muslimen zu stiften. Als Abu Bakr zwei Jahre später starb, bat er 'Umar, an seine Stelle zu treten, denn er hoffte, daß dieser mit den Problemen am besten fertig werden konnte.

In all dieser Zeit lebte Aisha in ihrem Haus beim Grab des Propheten und lehrte die Männer und Frauen, die zu ihr kamen. Im Laufe der Zeit sammelten sich viele Schülerinnen und Schüler um sie, und ihr Haus wurde zu einem Zentrum der Gelehrsamkeit. Sie berichtete von dem, was der Prophet getan und gesagt hatte, wie er mit Freunden und Feinden umgegangen war, wie er Verträge abgeschlossen und Streitfälle geschlichtet hatte. Dies alles gehört nämlich zur Sunna, zur "Lebensgewohnheit" des Propheten, die für alle Muslime sehr wichtig ist, denn wir sollen ja seinem Beispiel folgen. Sie beantwortete die Fragen Ratsuchender und erläuterte den Qur'an. Sie nahm rege am gesellschaftlichen Leben der Gemeinschaft teil und gehörte zu denen, die den gewählten Kalifen mit ihrem Rat zur Seite standen, manchmal aber auch mit Kritik entgegentraten.

Zum großen Entsetzen der Muslime wurde 'Umar eines Tages während des Gebets von einem Sklaven ermordet, der sich von ihm ungerecht behandelt fühlte. Sterbend konnte 'Umar gerade noch sechs wichtige Prophetengefährten, darunter Uthman und Ali, als Kandidaten für seine Nachfolge benennen und betonen, daß er seinem Mörder, der nach der Tat Selbstmord begangen hatte, verzieh. Er wurde neben dem Propheten und AbuBakr in Aishas Haus begraben.

Als Uthman zum Kalifen gewählt wurde, war er schon ein alter Mann. Der Islam hatte sich inzwischen über die ganze arabische Halbinsel bis weit nach Ägypten, Palästina, Syrien, Mesopotamien und Persien hinein ausgebreitet. Es war nicht leicht, dieses große Reich zu verwalten. Die Muslime erlangten immer mehr Wohlstand, und das machte diejenigen, deren Glaube nicht stark genug war, achtlos und stolz. Unwürdige Menschen versuchten, sich beim Kalifen einzuschmeicheln. Uthman wurde oft von den anderen noch lebenden Prophetengefährten und von Aisha vor Fehlern gewarnt. Es gab auch Feinde des Islam, die Unfrieden stiften wollten und die Menschen gegen den alten Kalifen aufhetzten. Sie verursachten in Medina einen Aufstand, bei dem sie Uthmans Rücktritt oder sogar sein Leben forderten. Einer der Rädelsführer sprach sogar mit Aisha, um sie für seine Pläne zu gewinnen, denn er hatte gehört, daß sie Uthman einmal kritisiert hatte, aber sie wies ihn scharf zurück. Kritik unter den Prophetengefährten sollte nämlich niemals feindselig verstanden werden, sondern als Hilfe zum Besseren. Aisha warnte auch ihren Bruder Muhammad davor, sich mit den Rebellen einzulassen. Bald darauf reiste sie zur Pilgerfahrt nach Mekka.

Auf dem Rückweg nach Medina kamen ihr Talha und Zubair entgegen, die aus Medina Schlimmes zu berichten hatten. Die Rebellen waren mit gezogenen Schwerten in Uthmans Haus eingedrungen, als dieser gerade den Qur'an las, und hatten ihn getötet. Seiner Frau, die ihn schützen wollte, hatten sie mit dem Schwert die Finger abgeschlagen. Drei Tage lang hatte in Medina ein regelrechter Kriegszustand geherrscht. Die Rebellen hatten geplündert und viele von Uthmans Angehörigen getötet, die anderen hatten fliehen müssen. In dieser Not war Ali zum neuen Kalifen gewählt worden und bemühte sich nun, Recht und Ordnung wiederherzustellen. Auch von Uthmans Sippe der Bani Umayya kamen Flüchtlinge zu Aisha und schlugen vor, eine starke Armee aufzustellen, um die Rebellen zu bekämpfen und Uthmans Mörder zu bestrafen. Aisha kehrte nach Mekka zurück, und schon bald hatte sich ein kampfkräftiges Heer um sie versammelt. Ihr Plan war es, nach Medina zu marschieren. Dort hatte Ali inzwischen versucht, zunächst einmal dafür zu sorgen, daß das Alltagsleben wieder seinen gewohnten Gang gehen konnte. Erst wenn der Frieden eingekehrt war, so meinte er, konnte er die komplizierte Suche nach Uthmans Mördern beginnen. All dieses war jedoch von Medina aus schwierig, deswegen zog er nach Kufa, wo die Leute ihm Treue gelobt hatten.

Unvernünftige Leute waren jedoch mit Alis Überlegungen nicht einverstanden. Zuallererst, so meinten sie, müßten Uthmans Mörder bestraft werden, auch wenn dies sehr schwierig war. Und wenn Ali den allgemeinen Frieden für wichtiger hielt, dann sollte man fast meinen, er wollte sie nicht bestrafen und sei vielleicht sogar froh, daß alles so gekommen war. So stellten diese Leute die Lage auch Aisha gegenüber dar, die daraufhin von Ali sehr enttäuscht war, und überredeten sie auf diese Weise, mit ihrem Heer gegen Ali zu ziehen. Zum erstenmal in der Geschichte standen sich also zwei muslimische Armeen kampfbereit gegenüber, obwohl weder Ali noch Aisha eigentlich miteinander Krieg führen wollten. Durch Boten verabredeten sie, am nächsten Morgen erst einmal zusammenzukommen und darüber zu verhandeln, wie sie die Sache friedlich klären konnten.

Das war den Unfriedenstiftern gar nicht recht. Wenn Aisha und Ali miteinander sprachen, dann würden sehr schnell alle Mißverständnisse aufgeklärt werden und ihre Intrigen ans Tageslicht kommen. Dann würden sie für ihre Machenschaften zur Rechenschaft gezogent werden. Um das zu verhindern, setzten sie alles daran, es trotzdem noch zum Kampf kommen zu lassen. Im Morgengrauen erhoben sie ein Kriegsgeschrei, so daß jede Armee glauben mußte, die andere habe sie hinterhältig angegriffen. In kurzer Zeit war der Kampf in vollem Gange. Vergeblich versuchte Ali, seine Männer zurückzuhalten. Aisha ritt auf ihrem Kamel geradewegs auf das Schlachtfeld, um dem Kampf Einhalt zu gebieten, aber die Männer verstanden diese Geste falsch und drängten sich um sie und riefen: "Sie ist die beste Mutter der Gläubigen! Wir wollen unser Leben dafür einsetzen, sie zu verteidigen!" Wie war es da noch möglich, dem sinnlosen Töten ein Ende zu bereiten?

Schließlich forderte Ali einige tapfere und geschickte Männer auf, Aishas Kamel zu lähmen. Damit wäre der Kampf zunächst einmal unterbrochen, und man könnte weitersehen. Tatsächlich gelang es ihnen, dem Kamel die Sehnen durchzuschneiden. Deswegen nennt man diesen Kampf auch die Kamelschlacht. Als das Tier stürzte und Aisha unversehrt aus ihrer Kamelsänfte stieg, gelang es auch Ali, bis zu ihr vorzudringen. Mit wenigen Worten waren die Mißverständnisse geklärt, und Aisha bedauerte zutiefst, daß sie auf falsche Ratgeber gehört und Alis Absichten mißtraut hatte, denn in Wirklichkeit hatten sie doch beide dasselbe Ziel. Nachdem sie ein paar Tage bei Ali verbracht und sich erholt hatte, kehrte sie nach Medina zurück, wobei Ali sie selbst ein Stück begleitete. Zuvor aber hielten beide vor dem Volk eine Ansprache. "Meine Kinder," sagte sie, "es gibt zwischen mir und Ali keine Feindschaft. Es war nur ein Mißverständnis. Ich betrachte Ali als einen sehr guten Menschen." "Die Mutter der Gläubigen hat völlig recht," fügte Ali hinzu, "sie ist eine geehrte Frau unseres Propheten in dieser Welt und im zukünftigen Leben."

Den Rest ihres Lebens verbrachte Aisha in Medina, wo sie lehrte und den Menschen mit guten Ratschlägen half. Sie zählt zu den wichtigsten Gelehrten der frühen islamischen Zeit. Ihr Neffe Urwa sagte später von ihr: "Ich habe nie jemanden kennengelernt, der über bessere Kenntnisse des islamischen Gesetzes, der Medizin und der Dichtung verfügte als meine Tante Aisha." Da sie selbst niemals Kinder hatte, nahm sie ihre Nichte bei sich auf, die ebenfalls Aisha hieß und ihr in vielem ähnelte. Sie lernte von ihrer Tante und wurde wie sie eine große Gelehrte. Aisha starb in Medina in hohem Alter.


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