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Leseprobe
Henno Martin
_____________Wenn es Krieg gibt, gehen wir in die
Wüste
Wie herrlich war die erste Morgenstunde in der Wüste! Die scharfkantigen
Felsblöcke warfen lange blaue Schatten, die Windharsch über einem
Schneefeld glichen. Im Osten stand das Hochland vor uns wie eine stahlblaue
Wand; die leuchtende Kalkbastion schien nur wenige Minuten entfernt. Aber
als wir endlich an ihrem Fuß hielten, war der Zähler um acht Kilometer
weitergerückt.
Wie sollten wir hinaufkommen? Ein steiler Geröllhang schien mir befahrbar.
Im ersten Gang jagte ich den Wagen hinauf, daß die Kiesel spritzten.
Ich schaffte es und atmete erleichtert auf. Aber mein Lächeln blieb
gleich im Ansatz stecken, denn die Welt schien plötzlich vor dem
Kühler unseres Autos zu Ende. Ich riß das Steuer herum, wobei
mein Ellbogen Ottos Nase traf, dann stand der Wagen quer. Wir befanden uns
nicht auf einem Plateau, sondern auf einem schmalen Grat. Beklommen blickten
wir in die Tiefe hinab, in eine Unterwelt von wilden grauen Felsgraten, schwarzen
Schatten und wirren Schluchten. Aber dann sahen wir auch den tiefen Einschnitt
des Hauptcanyons: ein weißes Sandbett zwischen unzähligen dunklen
Schründen und Klüften. Leuchtende Kalktafeln breiteten sich vor
unserem Blick aus, dahinter schimmerten blau die gezackten Inselberge; fern
unter dem Horizont gewahrten wir die roten Dünen.
Fasziniert starrten wir in die grausige Tiefe. Welch grandiose, erbarmungslose
Landschaft, undenkbar unter dem milden Himmel gemäßigterer Breiten!
Einem phantastischen Irrgarten gleich umgaben jäh abstürzende,
grausam nackte Felsschluchten den Hauptcanyon wie verfilztes, verdorrtes
Aderwerk. Das waren die "Gramadullas", von denen einmal jemand gesagt hatte,
der Teufel habe sie in einer bösen Stunde erschaffen.
Der Gedanke, daß dieses barbarische Land nun, vielleicht für lange
Zeit, unsere Heimat werden sollte, erfüllte mich mit Schrecken und zugleich
mit einem Gefühl wilder Freude. Hermann sprach einen nüchterneren,
aber zweifellos richtigen Gedanken aus: "Hier dürfte uns so leicht niemand
finden!"
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Henno Martin: Wenn es Krieg gibt, gehen wir in die Wüste
Abera Verlag, Hamburg 1996,
350 Seiten, 49,90 DM
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