Choral
am Ende der Reise
____________________________Erik Fosnes Hansen
Erstaunlich, wofür man so alles einen Literaturpreis bekommt.
Im Jahre 1912 startet die R.M.S. Titanic
vom englischen Hafen Southampton zu ihrer ersten und letzten Fahrt. Das Ende
ist hinreichend bekannt: am 15.April läuft das Schiff auf einen Eisberg
und versinkt mit Mann und Maus.
Mit an Bord ist auch das Schiffsorchester, sieben
Musiker, die den Fahrgästen der Ersten Klasse die lange Überfahrt
mit Musik verkürzen sollen. In den folgenden fünf Tagen an Bord
des Schiffes erfährt der Leser die Lebensgeschichten der Musiker,
gescheiterten Existenzen allesamt, die auf der Flucht vor ihrer Vergangenheit
sind.
Diese Geschichten sind von wechselnder Qualität
und ziemlich konventionell geschrieben. Sie werden einfach -nach Personen
geordnet und in sich abgeschlossen - hintereinander erzählt. Nichts
von dem, was jedem in seinem früheren Leben zugestoßen ist, hat
irgendeine Auswirkung auf das Geschehen an Bord des Schiffes. Die Historien
der Musiker berühren sich - von einer Ausnahme abgesehen- nicht ein
einziges mal.
Darüber könnte man noch hinwegsehen,
würde über all dem nicht schon von der ersten Seite an der Stern
der sinkenden Titanic schweben. Eine Tragödie dieser
Größenordnung wie der Untergang des weltweit größten,
angeblich unsinkbaren Passagierdampfers, läßt die belanglosen
Biographien der Musiker zur völligen Bedeutungslosigkeit
schrumpfen.
Es sind die Proportionen, die in diesem Buch nicht
stimmen. Der Untergang der Titanic ist für diese Stories einfach ein
paar Nummern zu groß. Hätte Hansen die Musiker mit einem beliebigen
anderen Schiff untergehen lassen, dessen Name nicht zu einem so
übermächtigen Symbol geworden ist, und dazu noch einen Konflikt
an Bord konstruiert, wäre das Buch vielleicht etwas weniger langweilig
und besser zu lesen.
Trotzdem hat es 1990 den norwegischen Literaturpreis
Riksmalsprisen bekommen und deshalb gilt auch hier wieder: selber
lesen!
©
G!G 10.08.97
Lese!zeichen
Erik Fosnes Hansen: Choral am Ende der Reise
Aus dem Norwegischen von Jörg Scherzer
Kiepenheuer & Witsch, Köln 1995,
507 Seiten, 45,- DM
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