Warum Aggression wichtig und wertvoll sein kann
Nachdem ihr so viel über Gewalt erfahren habt, ist das Thema Aggression etwas in den Hintergrund getreten.
Aggression (lateinisch für "Angriffsverhalten") gilt im Alltagsleben meist als etwas Negatives, dass vermieden werden sollte - in neueren Forschungen wird das allerdings ganz anders gesehen. Für die Wissenschaftler ist Aggression zunächst einmal eine natürliche Verhaltensweise, ein Bedürfnis des Menschen. Sie steckt - natürlich in unterschiedlichem Ausmaß - in jedem von uns und kann nicht einfach durch Bestrafung und Unterdrückung beseitigt werden. Das wäre nach der Meinung der Forscher auch vollkommen verkehrt, denn in einem erweiterten Verständnis ist Aggression eine Form von lebensnotwendiger Energie. Sie umfasst ein ganzes Spektrum von Verhaltensweisen, die mit Sicherheit nicht alle negativ sind. Mit Aggression ist zunächst einmal jedes Verhalten gemeint, das nicht passiv oder zurückhaltend ist. Das können sehr klare und starke Äußerungen von Ablehnung oder Ärger sein, eine harte und direkte Art, den eigenen Willen auszudrücken, die offene Konfrontation mit anderen oder ganz allgemein die aktive Annäherung an Situationen und Menschen anstelle von passivem Abwarten. Zu solchem positiven aggressiven Verhalten kann auch gehören, dass man sich traut, Konflikte auszusprechen und zu klären oder Machtkämpfe offen auszutragen.
Lautes Schreien oder Kreischen, mit voller Kraft zu boxen, zuzuschlagen, zu trampeln oder zu treten - das sind körperliche Ausdrucksformen, die zu einer solchen Einteilung passen. Und solange sie sich nicht gegen einen anderen richten, sind dies alles einfach Wege, wie man sehr intensiv Gefühle erleben und äußern kann.
Hochgeschätzt und als unverzichtbar angesehen wird diese Art aggressiver Energie zum Beispiel im Sport - ohne Aggressivität gäbe es keinen Wettkampf und keinen Sieg. Gleichzeitig wird hier aber die Aggression mit komplizierten Regeln gesteuert. Beim Ringen oder Boxen etwa ist der Kampf bis in die einzelnen Bewegungen hinein vorgeschrieben. Die Gegner müssen sich also bei allem Kampfgeist und Siegeswillen immer unter Kontrolle haben, müssen ihre Aggression in genau festgelegte Bahnen lenken und dürfen sie nur in engen Grenzen ausleben. Wer den Gegner ins Ohr beißt oder den Schiedsrichter beschimpft, wird sofort bestraft. Dass so etwas bei gut trainierten Profis immer wieder vorkommt, zeigt, wie schwierig es ist, die Balance zu halten.