PRO: Förderstufe

 

Die Einführung von 5. Eingangsklassen am Gymnasium Michelstadt gestaltet sich aus mehreren Gründen schwierig. So ist dies bereits ökonomisch gesehen fast unmöglich, da  nicht die erforderlichen Kapazitäten, sprich Klassenräume, Aufenthaltsmöglichkeiten, Lehrkräfte usw. zur Verfügung stehen. Angenommen, diese Voraussetzungen wären gegeben, so würden beim Eintreten einer Neuregelung weitere Nachteile, insbesondere hinsichtlich der Angebote weiterer Gymnasialer Oberstufen im Kreis entstehen.

Der im Schulentwicklungsplan von 1994 festgelegte Aufbau unseres Schulsystems fand vor dem Hintergrund der Schaffung wohnortnaher gymnasialer Angebote statt und hat dazu geführt, die Carl-Weyprecht-Schule in Bad König sowie die Georg-Ackermann-Schule in Rai-Braitenbach in kooperative Gesamtschulen umzuwandeln und an der Ernst-Göbel-Schule in Höchst eine gymnasiale Oberstufe einzurichten. Auf den Punkt gebracht heißt das: Sollte das Michelstädter Gymnasium tatsächlich wieder in den Genuss von 5. und 6. Klassen kommen, würde dies mit Sicherheit gravierende Auswirkungen auf die gymnasialen Angebote im Mümlingtal haben, da bei vielen Eltern die Meinung vorherrscht, in Michelstadt qualifiziertere Lehrkräfte und bessere Lehrmethoden anzutreffen.

Nicht zu vergessen sind die Eltern, die ihr Kind aus individuellen Interessen gerne ab der 5. Klasse auf einem Gymnasium sehen möchten. Hierzu zählt neben den vorgebrachten bildungsspezifischen Argumenten auch die Behauptung, dass das Kind, sollte es denn bereits gleich nach dem Austritt aus der Grundschule ein Gymnasium besuchen können, von gewaltbereiten Kindern und nichtdeutschen SchülerInnen getrennt wird, was sich positiv auf die weitere Entwicklung des Kindes auswirken soll.

Hier zeigt sich, dass die Einführung von 5. Klassen kontraproduktiv ist, da die Debatte auch durch Dilettanten und konservativ-dogmatische PolitikerInnen, die sich selbst zu Meinungsmachern erkoren haben, so emotional geführt wird, dass eine Umsetzung des Vorhabens zugunsten der Befürworter einer heranwachsenden solidarischen Gesellschaft im Wege steht.

Unser Schulsystem hat die gesellschaftliche Aufgabe, zu selektieren, also auszusieben, für den Arbeitsmarkt vorzuverteilen und in drei Gliederungen, Haupt- Realschule und Gymnasium zu isolieren. Was nicht bedacht wird, ist, dass beim Eintreten einer Schulwahl ab Klasse 5 ein Auseinanderdividieren der SchülerInnen bereits in der 2. bzw. 3. Klasse einsetzt. Diese stattfindende Selektion entbehrt geradezu jeder pädagogischen Einsicht und führt allzu oft dazu, dass Kinder sozial schwacher Eltern automatisch in die Hauptschule gesteckt werden, obwohl sie in den meisten Fällen zu ganz Anderem in der Lage wären.

Die Entwicklung eines Kindes setzt erfahrungsgemäß erst im Alter nach der Grundschule ein. Deshalb ist es unklug, SchülerInnen bereits vor dieser Phase  voneinander zu trennen, da die Förderstufe das Kennenlernen und Akzeptieren „anderer“ MitschülerInnen erleichtert und zugleich fördert. So hat sich für viele SchülerInnen die Förderstufe als sinnvoller Übergang von der Grund- in die weiterführende Schule erwiesen. Außer Österreich hat kein anderes Land der EU ein dermaßen starr untergliedertes Schulsystem wie wir. Es herrscht immer noch die Meinung, schwache SchülerInnen würden stärkere am Lernen hindern, sie wären wegen ihrer Leistungen frustriert, wenn sie mit stärkeren zusammen unterrichtet werden. Aspekte wie soziales Lernen, Helfen und Geholfen bekommen, learning by teaching, werden dabei ausgeklammert. Zwar wird auch schon in der Förderstufe in Kurse eingeteilt, doch bleibt SchülerInnen bei Bedarf erheblich mehr Zeit um sich persönlich zu entwickeln und es ist möglich, im Anschluss an die Förderstufe eine wesentlich präzisere Einstufung in die zukünftige Schulform vornehmen zu können.

 

 

Raoul Giebenhain

 

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