SPD
Schröder macht SPD Mut für die Wahlschlacht
Rappelt sich die ermattete SPD auf?
Konstantes Umfragetief macht Schröder nervös
Berlin - Der Beifall schien kein Ende zu nehmen. Zehn Minuten lang haben die deutschen Sozialdemokraten (SPD) an diesem Sonntag in Berlin ihren Kanzler Gerhard Schröder gefeiert. Er hatte ihnen Mut gemacht für die jetzt ernsthaft beginnende Wahlschlacht. Seine Botschaft war bei den mehr als 500 Delegierten dieses Wahlparteitages angekommen: Noch ist die Wahl am 22. September trotz der negativen Umfragen nicht verloren. Dazu müsse aber nun jeder kämpfen, er alleine könne den Sieg nicht schaffen.
500 Delegierte
Eineinhalb Stunden redete Schröder und wandte sich dabei immer wieder ausdrücklich nicht nur an die gut 500 Delegierten im Saal, sondern an die gesamte SPD. Der Partei- und Regierungschef wollte Optimismus verbreiten, nachdem der seit Monaten anhaltende Negativtrend schon in den eigenen Reihen Skepsis ausgelöst hat und mit Sarkasmus kommentiert wird.
Richtungsentscheidung
Wie schon einige Tage zuvor vor den ihm freundlich gesonnenen Gewerkschaften sprach er von einer "Richtungsentscheidung" am Wahltag, von der Wahl "zwischen Zukunft und Vergangenheit, zwischen Fortschritt oder Rückschritt".
Zweite Wahlperiode
Schröder will nicht glauben, dass nach nur vier Jahren die Deutschen wieder zu einer Unions-FDP-Regierung zurück wollen. Die hatte er im Herbst 1998 nach 16 langen Jahren gestürzt. In der Tat wäre es einmalig für die deutsche Nachkriegsgeschichte, dass nach einer Wahlperiode eine Regierung schon abgewählt wird.
Untaugliche Rezepte
Für Schröder und für die SPD bieten die Unions-Parteien bei dieser Wahl nur die "Wiederauflage der untauglichen Rezepte". Während der politische Gegner ihm an diesem Sonntag in einer ersten Wahlanzeige gebrochene Versprechen vorhielt, lastete Schröder der Opposition an, ihre wahren Absichten zu verschleiern. Ab jetzt müsse die SPD für die Wähler Klarheit schaffen: Mit einem Sieg der Opposition seien die Modernisierung Deutschlands und vor allem soziale Gerechtigkeit bedroht.
Soziale Balance
Unter dem Druck des Wahlkampfes brachte Schröder dabei problemlos die SPD hinter sich. Im Nu war das mehr als 60 Seiten starke Wahlprogramm samt zahlreicher Abänderungsanträge abgehandelt. Keine Chance hat so etwa der frühere Parteichef und ehemalige Finanzminister Oskar Lafontaine, der angesichts des drohenden Desasters eine Kurskorrektur in letzter Minute fordert: "Die soziale Balance ist nicht gewahrt. Die SPD muss das Ruder herumwerfen."
Appelle
Solche Appelle verhallen in der SPD derzeit ungehört. Selbst die Linke in der Partei ist dafür nicht ansprechbar. Sie verübelt Lafontaine zudem, dass er damals kurz nach dem Wahlsieg das Handtuch geworfen hat. Jeder weiß, dass es nun um die politische Macht geht, dass die Wahrscheinlichkeit eines Wechsels auf die ungeliebten Plätze der Opposition von Tag zu Tag wächst.
Umfrag
Etwa fünf Prozentpunkte liegt die SPD nach den Umfragen
hinter den Unionsparteien. Da nützt es wenig, dass Schröder
bei den Sympathiewerten deutlich vor seinem Herausforderer Edmund
Stoiber rangiert. Ehe die Deutschen Anfang Juli in den Urlaub
aufbrechen, will die SPD deutlich aufgeholt haben. Als entscheidend
gelten dann die letzten vier Wochen vor dem Wahltag. Mit dem ersten
Fernsehduell zwischen Schröder und Stoiber am 25. August
beginnt aus Sicht der Sozialdemokraten der Schlussdpurt, der den
Sieg bringen soll.
Von Werner Bosshardt, Berlin
Auf Umfragen sind die deutschen Sozialdemokraten zurzeit nicht gut zu sprechen. Lieber verweisen sie darauf, dass biszur Bundestagswahl am 22. September noch 16 Wochen ins Land ziehen unddie Entscheidung ohnehin erst in den letzten vier Wochen falle.
Das ist Augenwischerei. Je stabiler nämlich der Vorsprung der Union beziehungsweise einer schwarz-gelben Allianz erscheint, desto zahlreicher dürften sich Unentschlossene dem Lager der mutmasslichen Sieger anschliessen. Und desto schwieriger wird es für den «Titelverteidiger», den eigenen Anhang zu mobilisieren. Für einen kräftigen «Zwischenspurt», zumindest bis ans Hinterrad der Konkurrenz, ist es deshalb höchste Zeit. Entsprechend hoch sind die Erwartungen an den Wahlparteitag von übermorgen Sonntag.
Lafontaines Ratschläge
Noch kann die SPD das Blatt wenden. Wenn sie sich «zusammenreisst». Dies sagt einer, der sich «untrennbar mitder SPD verbunden» fühlt, der frühere Parteivorsitzende Oskar Lafontaine. Angesichts des schwachen Angebots der Gegner müsse die SPD nur angreifen, die Stammwähler und Rentner ansprechen, den linken Parteiflügel reanimieren, die 1998 entscheidende Frage der sozialen Gerechtigkeit in den Vordergrund rücken. Ein bisschen Werbung in eigener Sache ist bei Lafontaines Tipps stets im Spiel. Zunächst nur für sein neues Buch*, das ausschweifend mit Globalisierern, Neoliberalen und Privatisierern abrechnet. Aber den sanften Hinweis, im Falle einer Niederlage werde es in der SPD «zur inhaltlichen Neuausrichtung und zu personalpolitischen Veränderungen» kommen, mag sich Lafontaine dann doch nicht verkneifen.
Dass der Wahlkampf der SPD noch nicht «Betriebstemperatur» erreicht hat, ist nicht nur Lafontaine aufgefallen. Der Parteienforscher Franz Walter, der 100 Jahre SPD-Geschichte aufgearbeitet hat**, hält die SPD heute für eine «ermattete» Partei: «Bei den Älteren sieht man viele müde und erschöpfte Gesichter, bei den Jüngeren pausbäckige Beflissenheit, und kaum jemand regt sich noch über die Ungerechtigkeit dieser Welt auf, prangert Ausbeutung und Unterdrückung an oder ruft nach Alternativen zum Bestehenden.» Die herkömmlichen Dogmen hätten heute kaum mehr Bestand, und mit den alten Symbolen und Gewissheiten, so Walter, seien auch das Pathos, das Sendungsbewusstsein und damit gleichsam der «Treibstoff» des sozialdemokratischen Aktivismus untergegangen. Als entideologisierte, disziplinierte und loyale Truppe des Kanzlers habe die SPD zwar an Regierungsfähigkeit gewonnen. Doch eine «stillgelegte Partei» ohne Fantasie, ohne Feuer des produktiven Streits, fördere eben auch Mittelmass.
Diese Wandlung der SPD zum «Kanzlerwahlverein» begann schon vor dem Wahlsieg von 1998, auch als Konsequenz aus dem zermürbenden und lange Jahre erfolglosen Kampf um die Regierung. 1998 war insofern ein «Glückstreffer», als die im Machtstreben vereinte Doppelspitze Schröder/Lafontaine sowohl die «moderne», reformorientierte, als auch die «traditionelle», auf soziale Besitzstände ausgerichtete Wählerschaft mobilisierte und erst noch auf einen verbrauchten Gegner stiess. Doch weder Gerhard Schröder - seit Lafontaines Rücktritt auch Parteivorsitzender - noch sein «General» Franz Müntefering haben seither die programmatische Klärung und die personelle Erneuerung der SPD energisch genug vorangetrieben. Entsprechend orientierungs- und konzeptlos stolperte die SPD ins Wahljahr.
Schröder schlägt die Pflöcke ein
Manche Genossen machen dafür die Wahlkampf-«Kampa» und deren Chef Matthias Machnig verantwortlich. Sie verkennen allerdings, dass es nicht einfach war, den abrupten Strategiewechsel der Führung marketingmässig nachzuvollziehen: erst das kokette Spiel mit «Optionen», dann die Festlegung auf Rot-Grün; erst das vollmundige Eigenlob («Versprochen - gehalten»), dann das demütige Eingeständnis von Versäumnissen; erst alle Scheinwerfer auf den Kanzler, dann die Neuentdeckung des «Wir-Gefühls».
Einige Tage vor dem Parteitag zeichnen sich die Konturen des SPD-Wahlkampfes klarer ab. In seiner «Testrede» vor dem Bundeskongress des Deutschen Gewerkschaftsbundes schlug Gerhard Schröder jedenfalls die Pflöcke ein: Kampf gegen jene, die das Land «schlecht reden», gegen jene, welche die «Abrissbirne an die Grundmauern des Sozialstaates» setzen, und gegen Programme, die in soziale Kälte und Verschuldung führten. Mit der eigenen Bilanz wird sich die SPD nur punktuell brüsten und stattdessen um Verlängerung des Mandats nachsuchen, da man «den Schutt, den Union und FDP in 16 Jahren angehäuft haben», eben nicht in vier Jahren wegräumen könne.
Der abgebrühte Machtpolitiker Gerhard Schröder sucht - ganz im Sinne Lafontaines - wieder stärker Rückhalt am linken Flügel der Partei, auch bei den Gewerkschaften. Aber die SPD kann es sich nicht leisten, Schröder «nur beim Kämpfen zuzuschauen», wie es der niedersächsische Ministerpräsident Sigmar Gabriel pointiert gesagt hat. Die teilweise frustrierte Stammwählerschaft und die ernüchterten Wähler der Mitte wollen wissen, weshalb sich eine Stimme für die SPD lohnt, sie wollen überzeugt werden. Doch wie kampagnefähig ist die SPD in ihrer derzeitigen Verfassung? Die Analyse des Parteienforschers Franz Walter weckt da Zweifel.
* Oskar Lafontaine, Die Wut wächst. Politik braucht Prinzipien.
Econ-Verlag, München, 2002. ** Franz Walter, Die SPD. Vom
Proletariat zur Neuen Mitte. Alexander-Fest-Verlag, Berlin, 2002.
Dossier: Deutschland
wählt
Vertauschte Rollen: Wie Gerhard Schröder vor vier Jahren ist nun Edmund Stoiber der Mann ohne scharfe Töne und konkrete Versprechungen, einer, der selten aneckt, aber Kompetenz vermittelt. Er macht das besser als alle erwartet hatten vor allem in der SPD. Da brenne der Hut, berichten Insider, und mehrmals musste die Parteiführung dementieren, dass ihr Wahlkampfmanager abgelöst werde. Die schlechten Umfragewerte zwingen ihn und die SPD schon zum zweiten Strategiewechsel.
Stoiber konsequent weichgespült
Anfangs erfreut über die Kandidatur des bayerischen Ministerpräsidenten,
wollte man aus ihm einen zweiten Franz Josef Strauß machen.
Im Norden der Republik hatte man ihn als Alt-Rechten ausgrenzen
wollen und im Osten sowieso, wo man den Leistungsträger aus
Bayern als besonders unbeliebt wähnte. Doch es kam anders.
Bis heute bleibt Stoiber konsequent weichgespült: Die kantigen
Sprüche früherer Jahre sind vergessen, Ankündigungen
sozialer Härten in Watte verpackt, Versprechungen vage, die
Union überraschend geschlossen.
Kanzlerbonus noch immer zehn Prozent
Der Gegner des Kanzlers ist unerwartet geschmeidig und kompetent
im Hauptthema dieser Wahl, bei Wirtschaft und Arbeit. Dramatisch
signalisierte das die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt: Das elendste
SPD-Ergebnis aller Zeiten war nicht nur Quittung für miese
Lokalpolitik und den Flirt mit den Ex- Kommunisten. Es war die
Hoffnung des Wählers auf ein anderes Programm und eine
Ohrfeige für den wahlkämpfenden Schröder.
Ab jetzt gehe es eben um die Frage "Der oder ich", war
die Antwort des Kanzlers und der Einstieg in den total personalisierten
Wahlkampf. Denn laut Umfragen steht sein Kanzlerbonus noch immer
bei zehn Prozent. Doch die Partei wollte das nicht. Sie war beleidigt,
ihre Motivation sank in den Keller fast wie die Umfragen.
Letzte Woche also der zweite Strategiewechsel in acht Wochen:
"Ab jetzt wird zugespitzt", kündigte ein grimmiger
Generalsekretär Franz Müntefering den 300 Spitzenfunktionären
der SPD an. Und Schröder entdeckte in seiner Rede wieder
sozialdemokratische Inhalte: Auf das Wahlprogramm sollen sich
die Genossen stützen.
Lagerwahlkampf eröffnet
Entgegen früherer Ankündigungen ist damit der Lagerwahlkampf
eröffnet. Die SPD grenzt die FDP als möglichen Koalitionspartner
aus und propagiert nur mehr Rotgrün. Klassenkampf-Parolen
hallen wieder: "Abbruch des Sozialstaates", "Spiel
mit dem Feuer", "utopisch" lautet das Urteil über
die Vorschläge der bürgerlichen Parteien für deren
"Sanierung" Deutschlands. Damit soll sich die SPD motivieren
und noch unentschlossene Wechselwähler binden.
Die Sorgen Schröders werden aber nicht weniger, trotz der
für ihn günstigen Einigung der Metallbranche und dem
Ende der Streiks. Eine neue heißt Lothar Späth. Dass
Stoiber den eigentlich pensionswilligen Vorzeigeunternehmer aus
dem Osten und erfolgreichen Ex-Ministerpräsidenten aus Stuttgart
ins Team holte, verschafft ihm nicht nur die Ballung wirtschaftlicher
und politischer Kompetenz, er bekam auch eine mediale Geheimwaffe:
Glaubwürdiger als der gemütlich wirkende Schwabe kommt
kaum ein deutscher Politiker über den TV-Schirm. Die großmäulige
Kanzlerkandidatur von FDP-Chef Guido Westerwelle ist dagegen geradezu
eine Hilfe für die Suche der SPD nach einem Feindbild.
Das soll nun endlich auch Stoiber vor dem Spendenausschuss abgeben:
Die bisher unbewiesenen Behauptungen des höchst dubiosen
Waffenlobbyisten Schreiber dürften ihn beschädigen
wie auch immer. Es wäre der erste Erfolg Schröders in
diesem Wahlkampf. Und dringend notwendig: Vier Monate vor den
vergangenen beiden Bundestagswahlen glichen die Umfragen bereits
dem Ergebnis.
Meinungsforschung: Die Prognosen
Umfragewerte für Parteien
SPD: 32-34 Prozent (gegenüber 40,7 bei Wahlen 1998),
Union: 40-42 Prozent (36,2),
Grüne: 6-7 Prozent (6,7),
FDP: 11-13 Prozent (6,2),
PDS: 4,5- 6 Prozent (5,1).
Beliebtheitwert als Kanzler
Schröder führt mit 38-40,
Stoiber kommt auf 30-32.