Kapitel 7
DATA CRYSTAL ENTRY: GENUSSMITTEL
SUBENTRY: RAUSCHMITTEL
Die meisten Rauschmittel- gifte unterliegen strengster Kontrolle oder sind ganz verboten. Lediglich Alkohol, einige Halluzinogene und Amphitamine sind frei erhältlich. Neben den alten Drogen wie Kokain oder Heroin treten vermehrt Kunstdrogen auf, die häufig noch erheblich schädlicher sind. Darunter befinden sich auch die verschiedenen Vertreter der sogenannten Zellaktivatoren, die bei dauernder Verwen-dung den Körper bis zur völligen Auszehrung belasten, was fast mit Sicherheit zum Tod führt.
"Es gibt nur eine Möglichkeit, wie wir es in dieser kurzen Zeitspanne noch schaffen können." Aaskir sprach schleppend und seine Zuhörer mußten sich schon konzentrieren, wenn sie ihn verstehen wollten. "Das kommt nicht in Frage. Wir werden eben warten müssen, bis du wirklich ganz gesund bist." sagte Ran entschieden. Aaskirs Hand schoß mit verblüffender Schnelligkeit hoch und packte ihn an der Schulter. "Verdammt, du hast doch gehört, was Teak gesagt hat. In zwei Wochen ist es soweit. Wenn wir vorher nichts unternehmen, ist es zu spät." Er hustete und ließ Ran los. "Ich brauche Zellaktivator, wenn ich euch nicht nur zur Last fallen soll."
Ran wandte sich ab. Er hatte Aaskirs Argumentation nichts entgegenzusetzen. Aber er kannte auch die Folgen von Zellaktivatoren und er wollte einen Freund nicht an ein Rauchgift verlieren. Nach dem Zusammenbruch Aaskirs im Information Research waren zwei Tage vergangen und dem ehemaligen Mitglied der Bruderschaft des Goldenen Pfades ging es nur minimal besser. Sie hatten kaum noch Zeit, ein absolut unmögliches Unterfangen.
"Nur eine pro Tag." sagte Ran nachdrücklich. Eine schwache Hand griff nach der kleinen, durchsichtigen Dose. Es hatte Ran und Habicht zwei volle Tage gekostet, um die Pillen zu besorgen, und noch immer war er dagegen. Er ließ Aaskir allein. Was nun kam, hatte er schon häufig erlebt, er kannte die Droge. Abwesend machte er sich an einem defekten Modul zu schaffen. Und obwohl er es erwartet hatte, zuckte er heftig zusammen, als Aaskirs Schreie das Schiff erfüllten. Dana sprang durch die Korridore, doch Ran hielt sie fest. "Er hat von der Droge genommen." - "Und du hast es zugelassen!" fuhr sie ihn an. "Hast du schon mal versucht, ihm etwas auszureden!" gab er heftiger zurück, als beabsichtigt. "Verdammt, es tut mir leid." Ran ließ Dana los. Sie warteten. Nach einigen Minuten ging die Tür von Aaskirs Kabine auf. Ran, Dana!" sagte Aaskir ein wenig zu laut. "Wann schlagen wir los?" Er schien völlig gesund, wie er da stand, doch seine Augen sprühten regelrecht vor gestohlener Energie. Dana wandte sich ab.
*
Sie trotteten wieder einmal durch das Gassengewirr der Slums von Irind, auf der Suche nach den Kämpfenden Zellen. Ihnen war klar geworden, daß sie in den zwölf Tagen, die ihnen noch blieben, keine schlagkräftige Truppe mehr ausbilden konnten, und so mußten sie sich eben eine kaufen. Die bisherige Crew war viel zu klein, um auch nur eine winzige Chance zu haben, ihr Ziel zu erreichen.
Die Kämpfenden Zellen waren eine Terrororganisation, die von Ran manchmal mit Waffen beliefert wurden. Sie machten Anschläge gegen die Einrichtungen der Protektoren und des Chancelers, waren für totale Anarchie und Abschaffung jeder staatlichen Gewalt. Jedoch wurden ihre Aktivitäten stark von der Bruderschaft des Goldenen Pfades gestört.
Doch allein ihr relativ langes Überleben zeugte von ihrer guten Ausbildung. Ran sah sie unter den gegebenen Umständen als ideale Verbündete an, wenn man sie dafür gewinnen konnte. Also waren er, Aaskir und Dana unterwegs zu einem geheimen Treffpunkt der Zellen, während Habicht nach einem anderen Raumschiff Ausschau hielt. Für ihr Vorhaben würden sie eines brauchen, was atmosphärentauglich war, und so etwas würde nicht einfach zu finden sein.
Zum ersten Mal seit langer Zeit fühlte sich Aaskir wieder in Form, und es störte ihn nicht, daß es nur geborgte Energie war. Er war als einziger gut gelaunt, als in dem feinen Regen sich durch große Haufen von Unrat tasteten, mehrere Hinterhöfe und engen Gassen durchquerend. Ran führte sie zu einem halb eingestürzten Haus. Die Treppe nach oben war geborsten und man konnte einige Stockwerke hinauf schauen. Schon lange wurde diese Ruine nicht mehr bewohnt, zumindest nicht von Menschen. Auf der Treppe zu den Subebenen lag Schutt und Schmutz, doch sie war begehbar. Es schloß sich ein düsterer Korridor an, der in einen größeren Raum mündete. Zuerst war es völlig duster, kein Lichtschein von draußen erreichte den Raum, doch dann flammte ein Licht auf und blendete die drei.
"Bleibt wo ihr seid, sonst pusten wir euch um." sagte eine gepreßte Stimme." - "Sachte, sachte. Ich bin es, Ran." Aaskir versuchte, ebenso wie seine Gefährten, seine Augen vor dem grellen Licht zu schützen, doch es waren nur vage Schemen zu erkennen. Ein sehr schlechtes Ziel. "OK." meinte die Stimme. "Und wer sind die anderen beiden?" - "Freunde von mir." gab Ran kurz angebunden zurück. Das schien ihrem Gegenüber zu genügen. "Wir werden euch jetzt die Augen verbinden." wies die Stimme sie an. "Die übliche Prozedur, wenn du einen ihrer Stützpunkte betrittst." flüsterte Ran Aaskir zu. Plötzlich gewahrte Aaskir auch hinter sich Bewegungen. Sie hatten so oder so keine Wahl.
Blind durch die Augenbinden stolperten Ran, Dana und Aaskir von den Rebellen geführt durch unterirdische Gänge und stillgelegte Teile der Kanalisation von Irind. Sie brauchten fast zwei Stunden, bis sie anhielten und selbst Aaskir hatte bereits nach wenigen Minuten die Orientierung verloren.
"Nehmt ihnen die Binden ab!" Erneut blinzelten sie, doch es war kein grelles Licht, sondern sanfter Neonschein erhellte schwach einen großen Raum ohne Fenster. Etwa ein Dutzend schwer bewaffneter Männer saß auf gestapelten Kisten oder hatten sich lässig gegen die Wände gelehnt.
"Man sagte mir, du hast uns ein interessantes Angebot zu machen, Ran. Aber dazu wolltest du mit mir persönlich reden. Bitte!" Der Mann, der eben schon mit rauher Stimme befohlen hatte, ihnen die Binden abzunehmen, war nur undeutlich auszumachen, breit gebaut, Vollbart und ebenso bewaffnet und gekleidet wie die anderen. Allerdings hatte er eine goldene Armbinde, die ihn als Anführer auszeichnete. "Tom Arca! Der Anführer der Kämpfenden Zellen." sagte Ran ohne eine Spur von Unsicherheit. "Wir hatten noch nicht das Vergnügen." - "Das ist richtig. Und wer sind deine Begleiter?" - "Das ist Dana, mein Leibwächter, und das andere ist Skirr, mein erster Offizier." Aaskir versuchte noch immer, ihren Gastgeber genau abzuschätzen, aber irgendwie fiel ihm das seltsam schwer. Er hatte einen muskulösen, fast massigen Körper, doch bewegte er sich mit einer gleitenden Eleganz, die dazu überhaupt nicht paßte. Auch Dana schien tief in Gedanken versunken. "Wo hast du denn deinen Schatten gelassen, Habicht hieß, er glaub´ ich." - "Darauf komme ich noch. Ich möchte euch einen Vorschlag machen, den ihr einfach nicht abschlagen könnt." - "Laß hören." Wenn Arca interessiert war, zeigte er es nicht, sondern ließ sich wieder auf die Kiste fallen.
"Wir könnten euch dorthin bringen, wo ihr mit euren Aktionen den größten Erfolg haben könntet." - "Und wo wäre dies?" - "Natürlich auf der Erde." Damit hatte Ran die Aufmerksamkeit der Aufrührer. Er erzählte ihnen eine abgewandelte Fassung ihres eigentlichen Planes, da die Rebellen für ihre wahren Ziele bestimmt nicht zu gewinnen waren. Im Gegenteil. Es war ja ihr Bestreben, die Ordnung des Wellshire durcheinander zu wirbeln und schließlich ganz zu zerstören und mit einem direkten Schlag gegen den Ultimaten konnten sie ihrem Ziel sehr nahe kommen. Ran spürte, wie seine Worte die umstehenden Rebellen beeinflußten und auf ihre Seite zogen. Nur Arca schien desinteressiert. "Das ist zwar sehr schön, Ran, aber ich glaube für uns eine Nummer zu groß." gab er zu bedenken. Doch seine Mitstreiter begannen zu murren. "Sollen wir denn ewig hier in Irind von Rattenloch zu Rattenloch kriechen und ab und zu ein paar Protektoren hochjagen?" - "Ich hab´s dir schon ein paar mal erklärt, Gudo. In einigen Monaten steht die erste Zelle in Mars City, danach folgen weitere in Amus und Degroid. Und erst wenn wir uns fest auf dem gesamten Mars etabliert haben, werden wir weitere Planeten unterwandern. Einer nach dem anderen wird fallen und das Wellshire wird zusammenbrechen." - "Wir haben aber keine Lust mehr zu warten." meinte Gudo trotzig. "Auch die anderen wollen langsam Erfolge sehen." - "Verdammt!" Arca ließ seine Faust wuchtig auf des Holz knallen. "Wer ist hier unzufrieden?" fragte er und seine Augen blitzten kampflustig. Gudo ließ sich nicht einschüchtern und als die anderen dies sahen, hoben auch sie ihre Hand.
"Ich gratuliere dir, Ran." sagte Arca bissig. "Was Hunderte von Protektoren und die Bruderschaft nicht geschafft haben, dir ist es in wenigen Minuten gelungen." Ohne erkennbaren Ansatz sprang Arca und traf Ran an der Schulter, da Dana im letzten Moment Ran zur Seite gezogen hatte. Geschickt sprang Arca auf die Beine, doch noch bevor er erneut angreifen konnte, trat Aaskir dazwischen. "Oho, du bist wohl mehr als nur ein erster Offizier." höhnte Arca. "Skirr, laß mich das machen." - "Warum?" fragte Aaskir Dana ohne Arca aus den Augen zu lassen. "Ich kenne ihn. Es ist Tomar, ein Abtrünniger, ein ehemaliger Silberner." - "Ja, Schwester, und ich war ihr bester. Es wäre doch eine Vergeudung gewesen, nur für die Silbernen zu schuften." Ein Schrei - aus den Augenwinkeln sah er, daß Dana Rans Schulter wieder eingerenkt hatte. "Laß mich das regeln" sagte sie jetzt. "Ja, laß der Dame den Vortritt, Junge. Ich hatte lange keine Möglichkeit mehr, einen gleichwertigen Gegner zu treffen." Noch immer standen sich Aaskir und Tomar gegenüber und belauerten sich. "Dana, du bleibst bei Ran!" befahl Aaskir mit einer Stimme, die er in seinem früheren Leben oft gebraucht hatte. "Dann willst du also zuerst sterben." stellte Tomar mit wölfischem Grinsen fest. Wie ähnlich sie doch waren, dachte Aaskir. Doch weiter kam er nicht. Tomar sprang ihn an, und schlug mit der gekrümmten Hand nach Aaskirs Hals. Doch zu seiner sichtlichen Verblüffung ging der Schlag ins Leere. Aaskirs Gelenke und Muskeln bewegten sich mit der alten Geschmeidigkeit und geborgter Kraft, und während sich noch der etwas verwirrte Tomar sammelte, traf ihn ein Ellenbogen auf die kurzen Rippen, der ihm die Luft herauspreßte. "Wohl etwas eingerostet?" konnte sich Aaskir nicht verkneifen. Er fühlte sich einfach großartig. Tomar war wirklich gut für einen ehemaligen Silbernen, doch die nächsten Angriffe wehrte Aaskir mit zunehmender Leichtigkeit ab. Die jahrelang eintrainierten Bewegungsabläufe kamen ihm wieder zu Bewußtsein und verschafften ihm den Bruchteil einer Sekunde an Vorsprung.
Tomar merkte, daß er es nicht mit einem gewöhnlichen Mann zu tun hatte und wurde vorsichtiger. "Wer bist du?" keuchte er. Aaskir antwortete nicht. Er vermißte seinen Kampfstab und die ungewohnte Kleidung machte einige Bewegungen unmöglich. Einen Tritt nach dem Kopf endete zwischen Aaskirs gekreuzten Unterarmen. Er schleuderte den Rebellenführer zurück, doch mit erstaunlicher Geschwindigkeit war er wieder heran und sie verbissen sich regelrecht ineinander, jeder des anderen Handgelenke umklammert. Unwillkürlich zog Tomar beide Beine an und ließ die Knie gegen Aaskirs Brustkorb knallen. Es knackte lautstark und Aaskir spürte einen stechenden Schmerz, aber nicht stark genug, um ihn abzulenken. Eine Faust traf seitlich seinen Oberschenkel, der Knochen brach zwar nicht, doch das Bein wurde völlig taub. Aaskir rollte sich über den Boden und kam nur mühsam auf die Beine. Er konnte kaum atmen. In dem schummrigen Licht bekam Tomar beängstigende Ähnlichkeit mit Aanter. Aaskir schüttelte den Kopf. Er durfte nicht daran denken.
Konzentriere dich, jetzt! Tomar schlug erneut und so schnell nach ihm, daß man die Bewegung kaum wahrnahm, doch diesmal traf Aaskir den Arm noch in der Luft, fegte ihn zur Seite und seine Faust zerschmetterte beide Unterarmknochen. Gleichzeitig traf er mit dem Ellenbogen auf den Solarplexus von Tomar. Der Mann sackte lautlos zusammen.
Aaskir blickte sich schwer atmend um. Die Männer standen bleich und erschrocken herum und starrten auf ihren regungslosen Anführer. Einige hatten ihre Waffen gezogen, doch weiter kamen sie nicht. Ran hatte seine Maschinenpistole gezogen und auf Gudo gerichtet. Der stand jedoch völlig verdattert da. "Das ist doch völlig unmöglich." sagte er nun zum vierten Mal. Ran ergriff die Gelegenheit beim Schopf: "Nun, Gudo, auf welcher Seite stehst du. "Er hat sie bisher alle getötet." sagte der noch immer. "Wie, was?" Er sah den auf sich gerichteten Lauf. Dann blickte er auf seinen toten Anführer. "Ich glaube, es bleibt uns keine Wahl. Ohne Tomar können wir keine Aktionen planen. Er war der Denker." - "Sprichst du auch für die anderen." Ein beifälliges Murmeln war zu hören. "Gut, dann bringt uns hier raus."
*
"Au!" - "Stell dich nicht so an." fauchte Gil ihn an. "Das wird ja langsam zur Gewohnheit, daß wir dich zusammenflicken." - "Heh, ich mach das ja nicht mit Absicht." maulte Aaskir und zuckte zusammen, als Gil den Verband über die gebrochenen Rippen festzog. In diesem Moment riß Ran die Tür auf. "Habicht hat ein Schiff!" rief er fröhlich. "Mußt du deshalb so herumschreien." - "Verzeihung." - "Was für einen Seelenverkäufer hat er denn diesmal aufgetrieben?" wollte Gil wissen. "Es ist eine Phönix!" - "Du machst Witze." - "Ehrlich, Gil. Ich wollte es auch nicht glauben, als es Habicht mir gesagt hatte." - "Würde mich freundlicherweise jemand mal aufklären, was daran so erstaunlich ist?" fragte Aaskir ärgerlich. "He, in welcher Welt lebst du eigentlich?" Aaskir fand es immer sehr amüsant, wenn die vierzehn Jahre alte Gil sich als Schulmeisterin aufspielte. "Die Phönix ist ein Schiff der Bender-Klasse und sie werden seit hundert Jahren nicht mehr gebaut. Wahrscheinlich hat es noch nicht mal einen Unista-Rechner." - "Richtig geraten, Gil." bestätigte Habicht, der mit Teak hereinkam. "Er hat noch die ILL-Technik, aber unser Freund hier wird das schon auf unsere Bedürfnisse umbauen." Damit deutete er auf den Informer. "Wer, ich? Da habt ihr euch aber den Falschen ausgesucht, ich bin nur ein Analyzer, ich überprüfe Programme und baue keine Rechner!" - "Du wirst das schon schaffen!" meinte Habicht bestimmt. Teak ließ den Kopf hängen. "Es wird dauern und ich brauche Hilfe." - "Du wirst alles bekommen, was du brauchst." meinte Ran, "nur Zeit haben wir keine." - "Ich werde ihm helfen!" meinte Gil begeistert. "Wo steht der Vogel? Los komm Teak, wir machen daraus den schärfsten Flitzer der Galaxis." Ehe sich es der Informer versah, hatte Gil ihn am Arm und zog ihn mit sich.
"Und wie sieht das Schiff jetzt wirklich aus?" - "Für sein Alter ist es in sehr gutem Zustand. Stell dir vor, Ran. Es hat noch nicht mal eine ECVC-Kennung. Wir werden aber trotzdem ein paar Umbauten machen müssen." - "Das war mir klar." - "Was ist das für eine E...-Kennung." - "Ein automatisches Signalsystem, mit dem man Schiffe identifizieren kann. Normalerweise hat jedes Schiff so etwas und diese Systeme sind meist so tief im Bordcomputer verankert, daß es unmöglich ist, sie abzuschalten." - "Das heißt, man erkennt uns erst richtig bei Sichtkontakt." überlegte Aaskir laut. "Und auch dagegen werden wir etwas unternehmen." versprach Ran. "Da scheinen sich übrigens die richtigen gefunden zu haben." - "Es sieht fast so aus." stimmte Aaskir mit einem schiefen Grinsen zu.
Letzte Änderung 22. January 2001 / Bei Fragen und Anregungen Mail an nazkor@gmx.de