10 Jahre ist es nun her, seit ich, halb verhungert und frierend in meiner zerschlissenen und
durchnäßten Magierrobe an die Pforte des Hesinde-Tempels in Warunk klopfte. Noch
wütend auf den ansässigen Praiostempel, der mich bereits abgewiesen hatte, wohl wegen
meiner "unwürdigen" Erscheinung - oder vielleicht auch wegen meiner spitzen Ohren -
machte ich mir kaum Hoffnung, daß mich dieser Tempel aufnehmen würde. Geld für eine
Herberge hatte ich nicht, es existierten auch nur diese beiden Tempel und einen Bürger zu
fragen, hätte bei einer Halbelfe in einer zerrissenen und blutbespritzten Beschwörungsrobe
wohl kaum einen Sinn.
Eine hagere Geweihte öffnete die Pforte zu dem kleinen Tempel und musterte mich mit einer
Mischung aus Argwohn und Mitleid. Das selbe Bild bot mir schon der Geweihte des
Praiostempels - vielleicht ohne das Mitleid in den Augen - bevor er mir die Tür vor der
Nase zuschlug. Darum machte ich mir kaum Hoffnungen, daß es hier anders sein würde. Im
Stummen sagte ich mir, Fragen kostet nur bei einer Hellseherin einen Obolus, und sollte ich
auch hier abgewiesen werden, so konnte ich immer noch auf mein Fingerspitzengefühl bei
dem Öffnen eines leeren Hauses hoffen. Also fragte ich frei heraus, ob sie mir wohl für diese
Nacht Unterkunft unter dem Dach der Göttin gewähren würde.
Zu meiner Überraschung machte die Geweihte einen Schritt zur Seite und bat mich herein.
Man brachte mir trockene Kleidung und gab mir sogar die Möglichkeit, mich zu waschen,
welche ich gerne in Anspruch nahm.
Die 5 Tage, die ich in er Wildnis verbracht hatte, haben meinem Aussehen wahrlich nicht
gutgetan. Nachdem ich mich umgezogen und gesäubert hatte, brachte mich ein junger
Novize, wohl erst 15 Sommer alt in eine Kammer mit einem Bett und einem kleinen Tisch,
auf dem etwas Essen angerichtet war. Nichts besonderes, aber wenigstens stillte es nun
endlich meinen Hunger. Nach einer angenehmen Nacht, die ich nun endlich wieder in einem
Bett zubringen konnte führte mich der Novize, sein Name war Ugdalf soviel wußte ich
bereits, in eine Kammer, welche wohl als Studierzimmer diente. Am Ende des Raumes
stand ein Tisch aus schwerer Steineiche, der über und über mit großen Folianten und
Pergamenten belagert war. Dem Tisch gegenüber saß eine ältere Geweihte, die
geistesabwesend über einem schweren Folianten lehnte und gelegentlich an einer Tasse
nippte, die vor ihr stand. Ich wartete einige Minuten, ohne ein Wort zu sagen an der Tür, bis
die Geweihte plötzlich aufsah. Ich erkannte sie als die Frau wieder, die mir am Abend zuvor
Einlaß in den Tempel gewährt hat. Freundlich begrüßte sie mich und bat mir ebenfalls etwas
zu trinken an. Erstaunt über diese liebenswürdige Behandlung nahm ich ihr Angebot an und
schmeckte wenige Minuten den köstlichsten Tee, der meinen Gaumen je erfreute.
Wieder einig Minuten später schlug die Geweihte den Folianten zu und legte ihn beiseite.
Interessiert fragte sie über das woher und wohin und kam dann ohne große Umschweife auf
die Frage, was mir widerfahren sei.
Ich wollte schon beginnen, doch da stockte ich. Was würde geschehen, wenn diese
Geschichte ihre Runde machen würde? Gerüchte verbreiten sich schnell. Und wenn die
Inquisition davon erfuhr? Sie mag vielleicht nicht mehr die selbe Macht wie zu alten Zeiten
haben, aber es war für jemanden wie mich immer noch gefährlich, freimütig jedem zu sagen,
daß ich bis vor fünf Tagen noch Borbaradianerin gewesen sei. Die Geweihte erkannte wohl
meine Zweifel und versicherte mir, daß kein Wort diesen Raum verlassen würde.
Ich glaubte ihr. doch wo sollte ich anfangen zu erzählen? Darum begann ich am Anfang:
"Ich wurde vor 18 Sommern (nun sind es 28) in einem Elfendorf geboren als Kind eines
Elfen und einer Magierin. Ich lebte in dem Dorf meines Vaters, wo ich mich jedoch nie
wirklich eingliedern konnte. Meine Mutter besuchte das Dorf so oft sie nur konnte, was ihr
als reisende Magierin jedoch nicht leicht viel. Aus diesem Grunde schenkte sie mir an
meinem 10. Geburtstag ein kleines Buch mit leeren Seiten, welches mir als Tagebuch dienen
sollte und zudem das Angebot, mit ihr Aventurien zu bereisen. Freudig nahm ich es an und
schon 2 Tage später waren wir unterwegs. Sieben Monate reisten wir und ich lernte die
wunderlichsten Dinge kennen. Die Städte der Menschen, alte Ruinen der Echsenzivilisation
und vieles mehr. Doch eines Tages kam es zu einem Schlag des Schicksals. Wir wurden
von 6 Räubern überfallen. Meine Mutter schaffte es, zwei von ihnen aufzuhalten, doch die
anderen stachen erbarmungslos mit ihren Dolchen auf sie ein, bis sie tot zusammensackte.
Vor Angst wie gelähmt und von übermächtig starken Armen eines Räubers festgehalten,
mußte ich tatenlos zusehen. Die Räuber durchsuchten den Leichnam meiner Mutter und
stießen mehrfach Flüche aus. Was sie sagten konnte ich jedoch nicht verstehen.
Eines Nachts kamen Zwei Menschen auf das Lager zu, welches die verbliebenen Räuber
am Tag zuvor errichtet hatten. Der Anführer ging auf die Menschen zu und wechselte einige
unverständliche Worte mit ihnen. Urplötzlich brach der Räuber zusammen und als er zu
Boden fiel, steckte ein silberner Dolch in seiner Brust. Zwei weitere Räuber wurden von
einem gewaltigen Flammenstrahl getroffen, der aus der Hand des anderen Menschens zu
kommen schien. Der verbleibende Räuber suchte sein Heil in der Flucht, bis ihn ein Pfeil in
den Rücken traf.
Gemächlichen Schrittes näherten sich die beiden Menschen. Ich begann zu zittern. Was
würden sie nun mit mir machen? Sollte ich etwa so enden, wie meine Peiniger? Sie näherten
sich immer mehr, bis ich ihre Gesichter deutlich erkennen konnte. Eine Frau mittleren Aters
und ein Mann mit bereits ergrauten Haaren. Die Frau griff in ihre Robe und zog einen Dolch
hervor; eben so einer, wie er in dem toten Räuber steckte. Ich schloß die Augen und
bereitete mich auf das unausweichliche vor. As ich jedoch den ausbleibenden Stich
abwartete spürte ich, wie zunächst meine Hand- danach meine Beinfesseln durchtrennt
wurden. Erstaunt schaute ich auf und sah die Frau lächeln.
Die Magier nahmen mich bei sich auf und lehrten mich die arkanen Künste. In den
folgenden Jahren lernte ich immer mehr, meine astralen Kräfte zu nutzen und sie gegen die
Feinde Borbarads einzusetzen. Man lehrte mich die Schriften Borbarads und die
Dämonenbeschwörung, sowie die Herrschaftsmagie. Ich folgte der Ideologie, die mir meine
Pflegeeltern beibrachten.
An meinem 18. Geburtstag sollte ich nun endlich bei einer Beschwörung mitwirken können,
bei der ein Pakt mit einem der Erzdämonen geschlossen werden sollte. Andere aus dem
Kult protestierten gegen meine Anwesenheit, doch meine Pflegeeltern blieben hart. Als
beide etwa 2 Monate vor dem geplanten Ritual noch einmal in die Stadt gingen, um allerlei
Paraphernalia zu kaufen die noch benötigt wurden, stieß ich in einem geheimen Fach auf das
Tagebuch meiner vermeintlichen Retter. Einige Zeilen konnte ich nur Bruchstückhaft
entschlüsseln.
.... haben die Spur von Larina (meiner Mutter) verloren. Wir müssen das Amulett unbedingt erlangen
um endlich ...
.... konnten endlich die Spur wieder aufnehmen. planen Angriff. Haben zu diesem Zweck einige
geldgierige Narren gekauft um ...
.... So kamen wir also zu dem Lager dieser Dummköpfe. sie sagten, sie hätten das Amulett nicht
gefunden. Diese Narren. (...) Mußten sie töten, schon wegen ihres Versagens. dies hätten wir ohnehin
getan, da ein paar Trunkenbolde einfach zu schlechte Geheimnisträger sind. Offenbar haben sie die
Tochter von Larina gefangengenommen (...) haben sie befreit und einigen Hellsichtszaubern
unterzogen. Sie wußte ebenfalls nichts. (...) So haben wir wenigstens aus dieser Niederlage eine neue
gelehrsame Schülerin für die Lehren unseres Herren gezogen.
... Sie wird immer stärker und versteht schnell. (...) glaube, daß wir sie bald in den innersten Kreis
aufnehmen können ...
... haben Celissa in den innersten Kreis aufgenommen. Sie ist eine hervorragende Kämpferin.
... heute ihren ersten Menschen getötet. Offenbar ist es ihr schwergefallen, aber das wird sich legen.
... an ihrem 18. Geburtstag Beschwörung geplant zu Ehren unseres Herren. Pakt mit Bel...
Ich konnte nicht glauben, was ich las. Sollte das etwa wahr sein? Können die Menschen,
die mich die letzten 7 Jahre großgezogen haben wirklich für den Tod meiner Mutter
verantwortlich sein? Wutentbrannt sinnte ich auf Rache und wenn ich selbst dabei sterben
sollte. Doch da hörte ich Geräusche von außerhalb. Schnell legte ich das Buch zurück und
schloß das geheime Fach wieder.
In den folgenden Wochen entwickelte ich Pläne, verwarf diese wieder, korrigierte andere,
bis ich nun endlich wußte, was zu tun war. Bei der Vorbereitung der Beschwörung machte
ich einige geringfügige Fehler in den Bannzeichen. Nicht so auffällig, daß dies jemand
bemerken würde, aber dennoch würden sie wirken.
In der Nacht der Beschwörung endlich war es soweit. der Beschwörungskreis bestand aus
zusammen 25 Menschen, die wie ich eine Beschwörungsrobe trugen. Um so besser dachte
ich. Die Welt würde auf einen Schlag von 25 Borbaradianern befreit werden.
Als die Beschwörung sich dem Höhepunkt zuneigte wurde es totenstill. Selbst das
beständige Zirpen der Zikaden hatte aufgehört zu existieren. Eine niederhöllische Kälte
drang aus dem Heptagramm. Aus den dichten Nebelschwaden formte sich eine riesige
Gestalt. Ein sieben Schritt hoher schwarzer Alligator mit 6 Armen. Ich erkannte ihn sofort.
Xarfai der jenseitige Mordbrenner. Also mit diesem Erzdämon sollte der Pakt hergestellt
werden. Konnten diese Narren denn wirklich so wahnsinnig sein? Einen Pakt mit Xarfai zu
schließen ist weitaus schwieriger als mit Zholvar oder Nagrash. Und die Beherrschung
würde selbst mit den richtigen Bannzeichen extrem schwierig werden. Zweifel stieg in mir
auf. Sollte es richtig gewesen sein? Nur Rondra könnte dieses Untier aufhalten.
Ein ohrenbetäubender Schrei ging durch die Luft. Die Beschwörer zuckten zusammen und
wurden sich ihres Versagens bewußt. Doch da schnellten schon die Morgensterne auf die
ersten Borbaradianer. Grausam lachte dieses Unwesen, bis plötzlich ein Zucken durch den
gewaltigen Leib ging. Eine gewaltige Macht schien Xarfai wieder zurück in den Bannkreis
zu ziehen, bis er schreiend darin verschwand. Die Beschwörer atmeten auf und waren
gleichzeitig ratlos. Was könnte den Erzdämon wieder in seine Sphäre zurückgezwungen
haben? Doch einen Sekundenbruchteil später beantwortete sich diese Frage.
Ein gewaltiger Schatten fiel auf die Beschwörungsstätte. Wie von allen Sinnen beraubt
rannten die Beschwörer umher, während ich mich hinter einem Gebüsch in Sicherheit
brachte. Aus dem Kreis trat eine vielleicht 2 Schritt hohe Gestalt, welche in einem
schwarzen Kaputzenumhang gekleidet war. Die Gestalt wirkte beinahe menschlich, doch
dort wo sein Antlitz hätte sein müssen war lediglich ein diffuser Schatten zu erkennen. Hinter
ihm drangen 7 etwa 1 Schritt hohe "Spinnen" hervor, welche von beinahe absoluter
Schwärze waren, abgesehen von ihren Augen, welche in einem grellen Licht schienen.
Während die Gestalt stehen blieb, bewegten sich die Spinnen in einer übermenschlichen
Geschwindigkeit auf die Beschwörer zu, die sie entweder zerfleischten, oder in Stücke
rissen. Menschenblut bedeckte bald den grausigen Schauplatz und auch meine Robe war
über und über befleckt mit dem Blut der anderen. Kein menschliches Leben rührte sich
mehr auf dem Beschwörungsplatz, der nun bedeckt war mit Fleisch und Gedärmen. Ich
verkroch mich noch tiefer hinter meiner Deckung. Sollten sie mich etwa nicht gesehen
haben? Die Spinnen bewegten sich wieder auf den Schatten zu, in dem sie verschwanden,
bis "nur" noch die hagere Gestalt zu sehen war, die dem Treiben offenbar belustigt
zugesehen hatte.
Mir lief ein schauer durch den Rücken. Die Gestalt drehte den Kopf langsam in meine
Richtung und lieb an der Stelle verharren, an welcher ich mich versteckte. Ich versteinerte
vor Angst und Bilder von den Todesgrimassen meiner Opfer schossen durch den Kopf.
Plötzlich erklang eine hohle Stimme auf dem Platz, die in meinem Kopf wiederhallte. "Nein."
sagte die Gestalt. "NOCH ist es nicht soweit, Wind der Schatten.". Und mit einem
grausamen Lachen verschwand auch er in dem Schatten, welcher über der Stelle des
Massakers schwebte.
Ich verblieb noch einige Minuten in meinem Versteck und rannte dann in den Wald hinein,
als würde der Tod mich jagen. Nach fünf Tagen schließlich gelangte ich in die Stadt."
Die Nacht brach inzwischen über die Stadt herein. die Erzählung hatte unglaublich lange
gedauert. Die Geweihte hörte interessiert zu. Mal mitleidig, mal schockiert war ihr
Gesichtsausdruck.
Wir unterhielten uns noch viele Male. Aus dem Tag, den ich im Hesindetempel zubringen
wollte, wurde eine Woche, dann wurden es zwei. Ich entschloß mich daraufhin Geweihte
der Hesinde zu werden. Zum einen, weil ich Vergessen wollte, zum anderen um meinen
Frieden mit den Göttern zu machen. Und um auch nur etwas von dem Schaden, den ich
verursacht habe, wiedergutzumachen.
Das ist nun 10 Jahre her. Und der einzige Schrecken, der mir geblieben ist, sind die
Alpträume jede Nacht. Und die Gewißheit, daß die Schatten der Nacht eines Tages wieder
zu mir kommen würden ...